Wien Energie investiert eine Milliarde in den Gas-Ausstieg

Michael Strebl, Vorsitzender der Wien Energie-Geschäftsführung © Wien Energie/Martina Draper

Wien Energie wird in den nächsten fünf Jahren eine Milliarde Euro in den Gas-Ausstieg investieren. Mit massiven Investitionen in Geothermie, Großwärmepumpen und den Ausbau von Photovoltaik und Windkraft will Österreichs größter Energiedienstleister die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern Schritt für Schritt beenden.

„Nur Investitionen werden uns aus der Krise bringen. Wien Energie wird in den kommenden Jahren eine Milliarde Euro für den Gas-Ausstieg aufwenden. Wir bauen das Wiener Energiesystem komplett um: Jeder Euro, den wir heute in die Hand nehmen, bringt den Wienerinnen und Wienern langfristig Unabhängigkeit, Klimaschutz und Preisstabilität“, sagt Michael Strebl, Vorsitzender der Wien Energie-Geschäftsführung anlässlich der Jahresbilanz 2021, die unter dem Eindruck aktueller energiewirtschaftlicher und geopolitischer Entwicklungen stand.

Erste Anzeichen des schwierigen Umfelds zeigen sich bereits in der Bilanz des letzten Geschäftsjahres. Bei einem Rückgang von mehr als 60 Prozent erreichte Wien Energie 2021 ein Ergebnis von 140,0 Millionen Euro. Auch das operative Ergebnis (EBIT) liegt mit 159,1 Millionen Euro weit hinter dem Vorjahr zurück. Maßgeblichen Einfluss hatte hier das vierte Quartal 2021. Die Umsatzerlöse stiegen hingegen – getrieben durch die Preisverwerfungen auf den internationalen Märkten – deutlich auf 3.042,0 Millionen Euro an. „Wir befinden uns in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Die Großhandelspreise sind in den letzten Monaten europaweit zu Höchstwerten gestiegen und eine Entspannung der Lage ist leider nicht in Sicht. Das trifft uns als Wien Energie massiv in der Beschaffung und Erzeugung. Es ist daher wichtig, dass wir besonders umsichtig wirtschaften. Oberste Priorität hat die Versorgungssicherheit, aber wir brauchen auch Stabilität, um die Zukunftsinvestitionen stemmen zu können“, so Strebl.

Insgesamt will Wien Energie bis 2027 1,29 Milliarden Euro investieren. Davon gehen 625 Millionen Euro in Wärme-Projekte, 334 Millionen Euro in den Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung, 90 Millionen in umweltfreundliche Kälteversorgung, 160 Millionen Euro in Digitalisierung, Elektromobilität und Telekommunikation sowie weitere 90 Millionen Euro in Versorgungssicherheit.

Photovoltaik-Erzeugung mehr als verdoppelt

Dass sich diese Investitionen auszahlen, zeigt sich auch immer stärker in der Erzeugung. 2021 produzierte Wien Energie mit rund 1.260 Gigawattstunden so viel erneuerbaren Strom wie noch nie. Umgerechnet entspricht das dem Bedarf von 630.000 Wiener Haushalten. Den größten Anstieg konnte Wien Energie bei der Sonnenenergie verzeichnen: Die Stromproduktion aus Photovoltaik wurde um fast 150 Prozent auf mehr als 77 Gigawattstunden gesteigert. Im vergangenen Jahr errichtete Wien Energie mehr als 60 Solarkraftwerke und nahm mit der Schafflerhofstraße im Frühjahr 2021 die mit 11,45 Megawatt Leistung größte Photovoltaik-Anlage Österreichs in Betrieb. Wien Energie steht nun bei mehr als 320 Solarkraftwerken mit über 85 Megawatt Leistung und bleibt weiterhin Österreichs größter Solarstromerzeuger. Auch bei der Windkraft hat das Unternehmen mit dem Kauf der Windparks „Pongratzer Kogel“, „Herrenstein“ und „Zagersdorf“ die Leistung um gut 19 Megawatt ausgebaut. Anfang diesen Jahres fiel der Startschuss für einen zusätzlichen Windpark in Trumau. „Besonders in der Photovoltaik liegt für Wien Energie großes Potential. Insgesamt haben wir derzeit rund 400 Projekte mit mehr als 600 Megawatt Leistung in der näheren Analyse. Das reicht von kleinen Dach-Anlagen in der Stadt bis zu großen 10-Megawatt-Projekten im Versorgungsgebiet. Etwa 20 Projekte befinden sich aktuell in Bau“, erläutert Karl Gruber, Wien Energie-Geschäftsführer. Im Lauf des Jahres will Wien Energie jedenfalls die 100-Megawatt-Grenze an installierter PV-Leistung sowie 200 Megawatt bei der Windkraft knacken.

Fernwärme hat Schlüsselrolle für Klimaneutralität 2040

Eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung der Stadt nimmt auch die Fernwärme ein. 2040 soll 56 Prozent des Wärmebedarfs von Wien durch Fernwärme gedeckt werden. 2021 stieg der Fernwärmeabsatz um knapp 7 Prozent auf 6.373,4 Gigawattstunden an, was vorrangig an der geringeren Außentemperatur, aber auch an zusätzlichen Anschlüssen lag. Seit Jänner 2021 wurden mehr als 15.000 Wohnungen und 120 Großkunden wie öffentliche Gebäude und Gewerbe neu an die Fernwärme angeschlossen. Starken Fokus legt Wien Energie auch auf die Entwicklung von Quartierslösungen. „Damit wir die Wärmewende schaffen, müssen wir in Grätzl- und Quartierslösungen denken. Wo können wir welche lokalen Ressourcen bestmöglich nutzen? Im Village im Dritten entwickeln wir gemeinsam mit der ARE das erste Klimaschutzquartier Österreichs. Hier kommt 80 Prozent der Wärme direkt vom Standort“, skizziert Strebl ein aktuelles Projekt.

Auch in der Wärmerzeugung zeigt sich der zunehmende Ausbau von alternativen Erzeugungsanlagen: Die Wärmeproduktion aus Erd- und Umgebungsenergie wurde – vor allem durch den Einsatz der Großwärmepumpe Simmering – um 73 Prozent gesteigert. Insgesamt kamen bei der Fernwärme bereits 23,6 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Vor wenigen Wochen hat das Unternehmen mit dem Bau der größten Wärmepumpe Europas begonnen. „Das Ziel ist klar: 2040 muss die Fernwärme zu 100 Prozent klimaneutral sein. Schon in weniger als zehn Jahren wollen wir mehr als die Hälfte der Wärmeerzeugung aus erneuerbaren Quellen decken. Unser größter Hoffnungsträger ist dabei die Geothermie“, so Gruber. Noch in diesem Jahr soll das erste Geothermie-Umsetzungsprojekt auf Schiene gebracht werden: „Wenn alles nach Plan läuft, wollen wir in drei bis vier Jahren die erste Wärme aus geothermischen Quellen einspeisen.“

Ohne Fachkräfte und Forschung keine Energiewende

Eine der größten Herausforderungen am Weg zur Klimaneutralität sind die personellen Ressourcen. Aktuell steht das Unternehmen bei 2.179 Mitarbeitern (Vollzeitäquivalenten). In den nächsten zehn Jahren wird bei Wien Energie fast die Hälfte der Belegschaft in Pension gehen. „Wir werden in Zukunft verstärkt Fachkräfte suchen: vom Photovoltaik-Entwickler bis zur Kraftwerksmeisterin, vom Wärmeanlagen-Techniker bis zur Mechatronikerin. Mehr als 200 Green Jobs warten auf kompetente und engagierte Menschen, die den Klimaschutz mit uns vorantreiben wollen. Wir setzen deshalb auch stark auf Ausbildungsprogramme im Unternehmen und errichten aktuell ein neues Lehrlingszentrum in der Donaustadt“, meint Karl Gruber.

Gefragt sind die neuen Köpfe auch für die Forschung. Wien Energie ist hier insbesondere im Bereich Wasserstoff aktiv. Mitte 2022 soll der Baustart für die erste Elektrolyse-Anlage fallen, ebenfalls im Sommer wird die Turbine des Kraftwerks Donaustadt für einen Betriebsversuch mit Wasserstoff umgerüstet. Geforscht wird zudem an grünen Gasen und Wertstoffen aus Müll und an Speichertechnologien. „Nennen Sie ein beliebiges Themenfeld aus der Energietechnologie und Sie können sich sicher sein: Wien Energie arbeitet daran“, bestätigt Gruber die Strategie, frühzeitig Technologie-Know how aufzubauen und für die Stadt einzubringen.

Politische Rahmenbedingungen für erfolgreichen Systemwechsel

Damit Klimaneutralität 2040 erreicht werden kann, fordert Wien Energie Tempo bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen wie dem Erneuerbaren Wärme-Gesetz und Beschleunigung der UVP-Verfahren. „Wir sind bereit, wir haben einen Plan. Um noch schneller zu sein, brauchen wir aber auch die richtigen Rahmenbedingungen und die Akzeptanz der Bevölkerung für diese große Transformation. Wenn wir von der Einreichung bis zum Baubeginn eines Windparks weiterhin zehn Jahre brauchen, werden wir den Systemwechsel nicht schaffen“, so Michael Strebl abschließend.

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