Die eingetrübte konjunkturelle Lage macht sich seit Monaten auch auf dem österreichischen Arbeitsmarkt bemerkbar: Die Anzahl der offenen Stellen war laut Statistik Austria im 2. Quartal 2024 so niedrig wie seit dem 3. Quartal 2021 nicht mehr. Die große Mehrheit der Unternehmen hat zusätzlich vermehrt Schwierigkeiten bei der Besetzung offener Stellen. Dementsprechend haben sich Druck und Stress für Recruiter deutlich erhöht.
Der Fach- und Arbeitskräftemangel ist in heimischen Unternehmen längst spürbar und das hat auch Auswirkungen auf den Arbeitsalltag von Recruitern: Rund 77 Prozent sagen, dass es seitens der Unternehmensführung hohe Erwartungen und Anforderungen an sie gebe – etwa den Wunsch nach schnelleren Ergebnissen oder Unzufriedenheit bei verzögerten Einstellungen. Für 78 Prozent bedeutet der Fachkräftemangel einen höheren administrativen Aufwand. Das geht aus dem neuen XING Arbeitsmarktreport 2024 hervor, für den das Marktforschungsinstitut Appinio 150 Recruiter in Österreich im Rahmen einer Online-Umfrage befragt hat.
Als Konsequenz daraus fühlen sich Österreichs Personaler zunehmend unter Druck, knapp 61 Prozent klagen über hohe emotionale Anspannung und Stress. „Viel von dem Druck, den Unternehmen wegen des Fachkräftemangels spüren, wird an die HR-Verantwortlichen weitergegeben. Sie haben aber oft begrenzten Handlungsspielraum und wenig Mittel zur Verfügung, um ihm entgegenzuwirken“, sagt Sandra Bascha, Leitung Kommunikation Österreich. „Unternehmensführungen müssen in enger Zusammenarbeit mit ihren Personalabteilungen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Arbeitnehmer erwarten flexible Arbeitszeitregelungen, faire Entlohnung und eine gute Work-Life-Balance.“
Administrative Aufgaben als Zeitfresser im Alltag
Zur Belastung trägt auch bei, dass diejenigen, die in HR-Abteilungen für das Recruiting zuständig sind, viele administrative Aufgaben erledigen müssen. Mit 53 Prozent gehört das Organisieren und Durchführen von Vorstellungsgesprächen zu jenen Tätigkeiten, mit denen Recruiter derzeit am meisten beschäftigt sind. Die Vor- und Nachbereitung kostet sie aber auch viel ihrer Zeit: Dazu gehören Onboardingprozesse und administrative Aufgaben für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (44 Prozent), Screening von Bewerbungen und Lebensläufen (35 Prozent), die Recherche geeigneter Kandidaten und aktive Ansprache (35 Prozent), Auswertung von Feedback und Bewertung der Bewerber nach Interviews (29 Prozent) sowie die Dokumentation und das Reporting von KPIs zum Beispiel zu Erfolgskontrolle, Time to hire, Drop-out Rate, Application Conversion Rate oder Cost per Hire (27 Prozent).
„Künstliche Intelligenz kann für HR-Verantwortliche eine hilfreiche Unterstützung sein, um Prozesse zu automatisieren oder Stellenausschreibungen schneller zu erstellen“, sagt Sandra Bascha. „Gerade die administrativen Zeitfresser können so wirkungsvoll reduziert werden und schaffen Raum für die Kernkompetenzen von Recruitern.“ Genau das steht auch auf deren Wunschzettel. 41 Prozent hätten gerne mehr Zeit für die Identifizierung geeigneter Kandidaten, 40 Prozent für die Organisation und Durchführung von Vorstellungsgesprächen, und 39 Prozent würden gerne ihr Active Sourcing, also die eigenständige Suche nach neuen Mitarbeitern, ausbauen.
Anforderungen der Bewerber steigen
Der Fachkräftemangel erschwert den Recruiting-Prozess aber auch mit Blick auf die Bewerber: 73 Prozent der HR-Verantwortlichen stimmen der Aussage voll und ganz bis eher zu, dass es durch den Fachkräftemangel eine große Unverbindlichkeit der Kandidaten gibt (z.B. Ghosting, schlechte Erreichbarkeit, Absage nach Zusage, geringe Rückmeldungen von aktiv angesprochenen Kandidaten). 13 Prozent haben schon häufig oder sehr häufig Erfahrungen mit Ghosting gemacht, weitere 63 Prozent gelegentlich. Zusätzlich stimmen 87 Prozent der Befragten der Aussage voll und ganz bis eher zu, dass es zunehmend höhere Erwartungen der Bewerber an Jobbedingungen, Unternehmenskultur und Benefits gibt. Dazu gehören flexible Arbeitszeitgestaltung, Sabbaticals oder Workation.
Abhilfe könnte hier eine positive Candidate Experience für Bewerber schaffen. Mit 59 Prozent Zustimmung sind Recruiter der Meinung, dass diese in Zeiten des Fachkräftemangels wichtiger denn je ist. So eine Candidate Experience äußert sich auch durch Schnelligkeit des Recruiting-Prozesses. Für den XING Arbeitsmarktreport befragte Appinio auch 1.000 Beschäftige in Österreich. Und dabei zeigt sich: Die meisten Kandidaten wünschen sich einen zügigen Bewerbungsprozess und Rückmeldung des Unternehmens innerhalb maximal einer Woche. Für längere Rückmeldungszeiten seitens der Unternehmen sinkt die Zustimmung rapide. Für Bewerber sind fehlende Rückmeldungen (44 Prozent), lange Wartezeiten (32 Prozent) und intransparente Gehaltsangaben (28 Prozent), aber auch aufwändige und langwierige Bewerbungsprozesse (26 Prozent) die größten Nervfaktoren bei der Jobsuche – so entsteht zusätzlich Druck auf die Personaler.
Personalgewinnung und Anpassung der Recruiting-Strategien stehen im Fokus der Planung
Zurück zu den Recruitern. Welche Pläne haben sie noch für das verbleibende Jahr 2024? Für die meisten befragten Personalverantwortlichen ist das Finden neuer Mitarbeiter der relevanteste Punkt in der Jahresplanung. Active Sourcing wird dabei von ganzen 94 Prozent als eher bis sehr wichtig bewertet; nur 1 Prozent der Befragten betreibt überhaupt kein Active Sourcing. 32 Prozent möchten sich auf das Führen von Bewerbungsgesprächen fokussieren. Für 31 Prozent steht die Digitalisierung und Einführung von KI sowie Bekämpfung des Fachkräftemangels (ebenfalls 31 Prozent) ganz oben auf der To-do-Liste.
Dazu gehört die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen und Angebote wie Remote Work oder neue Arbeitszeitmodelle (55 Prozent) sowie die Intensivierung von Weiterbildungsangeboten für das Recruiting-Team, um den Herausforderungen des Fachkräftemangels besser begegnen zu können (43 Prozent). Auch die Implementierung von Empfehlungsprogrammen, um bestehende Mitarbeitende zur Empfehlung qualifizierter Kandidatinnen zu motivieren (43 Prozent) stehen auf der Agenda. Mit nur 29 Prozent steht mehr Einsatz von Technologie und KI auf dem drittletzten Platz. „Die Transformation der Arbeitswelt braucht aber smartes Recruiting, eine neue Art der Jobsuche und flexible Arbeitsmodelle“, unterstreicht Sandra Bascha. „Recruiting ist ein Erfolgsfaktor. Die Verantwortung dafür darf nicht nur auf den Schultern der Personalabteilung liegen, sondern muss in der Unternehmensführung strategisch verankert sein.“
(pi)