Wie gestaltet man eine Zukunft, für die es kein Best Practice gibt? Künstliche Intelligenz ermöglicht einerseits vielseitige Innovation – von Effizienzinnovation bis hin zu marktgenerierende Innovation, das Potenzial bringt jedoch auch höhere Verantwortung mit sich.
Wir haben dazu mit Gertrud Götze gesprochen. Sie ist HR-Chefin von T-Systems Austria und Vordenkerin im Bereich neuer Arbeits- und Technologiekonzepte. Als erfahrene Top Executive in der Technologiebranche gehört sie zu den Menschen, die die großen Fragen unserer Zeit weiterdenken und vor allem umsetzen. Das Gespräch drehte sich um nichts weniger als Künstliche Intelligenz (KI), die mit deren Einsatz verbundene Ethik und die Zukunft der Arbeit. Mit einer spürbaren Leidenschaft für ihr Fachgebiet berichtet sie, was sie tut und was Unternehmen tun können, um eine menschliche Arbeitskultur in einer sich radikal wandelnden Welt zu bewahren. Sie erzählt von ihren Erfahrungen, wie wir Technologie dafür nutzen können, Menschen von repetitiver Massenbearbeitung zu entlasten, damit für echte Gespräche wieder Zeit bleibt. Und wir erfahren auch, warum bei T-Systems die Bewerbungen nicht von der KI, sondern von echten Menschen gelesen werden.
Künstliche Intelligenz – eine Technologie der Extreme
„Wenn wir über KI sprechen, bewegen wir uns zwischen zwei Extremen,“ beginnt Gertrud Götze. „Die einen halten es für Hype, die anderen warnen vor einer unkontrollierten Bedrohung. Manche sehen eine Parallele zur Erfindung der Atombombe. Auch damals wurde eine Technologie geschaffen, die unglaubliche Möglichkeiten eröffnete – und gleichzeitig das Potenzial hatte, die Menschheit zu zerstören.“ Es brauche daher sehr klare Grundsätze und Leitlinien: „Wir bei der Deutschen Telekom haben uns schon früh einen Katalog ethischer Grundsätze für KI auferlegt, der über die Anforderungen des EU AI Act hinausgeht. Aber die große Frage bleibt: Wie viele andere Akteure spielen Fairplay?“ Sie verweist auf die Unsichtbarkeit von KI im Darknet, auf Algorithmen, die heimlich Profile erstellen, und auf Technologien, die auf perfide Weise Schwachstellen menschlicher Biometrie ausnutzen.
KI in der Arbeitswelt: Effizienz trifft Menschlichkeit
„KI ist ein Werkzeug, das, richtig eingesetzt, unglaublich entlasten kann,“ sagt Götze, als wir sie auf konkrete Anwendungen ansprechen. „Nehmen Sie etwa Standardanfragen im Personalbereich – von Elternzeiten bis hin zu Urlaubsregelungen. Hier arbeiten wir mit einem Bot, der auf unsere internen Regularien trainiert ist und Fragen beantwortet. Das spart uns enorm viel Zeit. Gleichzeitig bleibt der menschliche Kontakt bei komplexen Anliegen bestehen.“
Auf die Frage, dass inzwischen vielfach eine KI die Bewerbung und den Lebenslauf schreibt und eine andere KI diese Bewerbung „liest“, bleibt Götze kritisch. Insbesondere im Recruiting sieht sie Gefahren: „Ich setze KI bewusst noch nicht im Recruiting ein. Die Algorithmen sind oft einseitig trainiert, die Gefahr von Bias ist zu hoch. Was ist mit ungeschliffenen Talenten, die viel Potenzial haben, aber eben nicht perfekt ins Schema passen? Da vertraue ich lieber auf das menschliche Bauchgefühl.“ Gefragt, ob KI die Arbeitswelt wirklich menschlicher machen kann, bleibt sie realistisch: „Es kommt darauf an, wie wir sie einsetzen. KI kann uns die Konzentrationszeit zurückgeben, die wir durch Unterbrechungen und Suchzeiten verlieren. Aber sie darf nie die menschliche Entscheidung und Verantwortung ersetzen.“
Medienkompetenz: Lernen, mit KI zu denken
Gertrud Götze erzählt, dass sie oft auf KI angesprochen wird. „Viele glauben, dass die Maschine immer recht hat. Aber KI liefert eben nur die wahrscheinlichste Antwort – keine Wahrheit. Hier brauchen wir Aufklärung und vor allem Medienkompetenz.“ Sie fordert von Unternehmen, Bildung aktiv zu fördern: „Es gibt inzwischen Untersuchungen, die zeigen, dass viele lieber mit einer KI als mit einer Führungskraft über Probleme sprechen – weil sie die Konsequenzen fürchten. Das zeigt, wie echt und verführerisch menschlich KI wirken kann. Genau deshalb investiert sie in KI-Kompetenz. Alle müssen verstehen, was KI ist und kann und was nicht.“
Die Zukunft der Arbeit: Weniger Zeit, mehr Kompetenz
„Technologie verändert alles,“ erklärt Götze und verweist auf Studien, die zeigen, dass bis zu 90 % der heutigen Volksschülerinnen und Volksschüler später in Berufen arbeiten werden, die es heute noch nicht gibt. „Das ist keine Science-Fiction. Schauen Sie sich an, wie viele Aufgaben schon jetzt durch KI automatisiert werden. Was wir heute lernen, wird uns nicht bis zur Pension tragen.“ Auf die Frage, wie Unternehmen darauf reagieren können, erzählt sie von einem Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche: „Unsere Mitarbeitenden schätzen diese Flexibilität enorm. Es zeigt, dass Arbeitszeit nicht mehr so definiert werden kann wie früher. KI erledigt vieles schneller – also müssen wir Arbeit neu denken.“
Führung: Verantwortung, Menschlichkeit und Nachdenken
Trotz aller technologischen Fortschritte betont Gertrud Götze die Bedeutung von Menschlichkeit. Sie erzählt von Initiativen wie Räumen der Stille und einer Bewegungs-App, die gleichzeitig Wohlbefinden und Nachhaltigkeit fördern. „Es geht darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich jeder gesehen und geschätzt fühlt. Technologie kann unterstützen, aber die menschliche Verbindung bleibt zentral.“ Am Ende des Gesprächs gibt sie zu: „Manchmal frage ich mich, wie weit Unternehmen gehen dürfen. Indem wir Räume für Gebet oder Meditation schaffen, überschreiten wir vielleicht auch Grenzen – aber wir zeigen auch, dass wir alle willkommen heißen. Diese Balance zu finden, ist eine der spannendsten Herausforderungen unserer Zeit.“
Fazit: Proaktive Gestaltung als Schlüssel zur Zukunft
Als das Gespräch zu Ende geht, blickt Gertrud Götze aus dem Fenster und fasst ihre Vision zusammen: „Wir stehen vor einem Wendepunkt. KI, Arbeit und Ethik sind keine getrennten Themen. Wir alle – als Unternehmen, als Gesellschaft – müssen diese Zukunft aktiv gestalten. Das bedeutet Verantwortung, aber auch enorme Chancen. Und wir müssen einfach noch viel mehr miteinander reden.“
Es klopft an der Tür. Unser Interview geht zu Ende. „Darf ich vorstellen, das ist die Recruiterin, die bei uns die Bewerbungen liest. Ein echter Mensch! Und mit ihr werde ich jetzt Mittagessen gehen.“
Eine sehr ansteckend positive Stimmung bleibt am Ende des Gesprächs als Eindruck: Es gibt Menschen und Organisationen, die Verantwortung und Weitblick vorleben.
Das Gespräch führte xBN Herausgeberin Isabella Mader.