Wirtschaftswachstum in Osteuropa in Gefahr

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Trotz der Widerstandsfähigkeit gegenüber den Auswirkungen des Ukraine-Krieges sehen sich die Volkswirtschaften in Mittel-, Ost- und Südosteuropa mit Herausforderungen wie hoher Inflation, geldpolitischer Straffung und einem schwachen internationalen Umfeld konfrontiert, die das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen.

Trotz ihrer erstaunlichen Resilienz gegenüber den ökonomischen Folgen des Ukraine-Krieges gerät das zarte Wachstum in vielen Volkswirtschaften Mittel-, Ost- und Südosteuropas unter Druck. Die nach wie vor hohe Inflation, die Straffung der Geldpolitik sowie ein schwaches internationales Umfeld belasten die Konjunktur. Das zeigt die neue Sommerprognose des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) für 23 Länder der Region. Nach einem bereits mageren 4. Quartal 2022 kam das Wachstum in vielen Ländern im 1. Quartal des laufenden Jahres zum Erliegen oder rutschte wie in Polen, Tschechien und Ungarn in den negativen Bereich. „Das hat neben den sinkenden Realeinkommen vor allem mit der Rezession in Deutschland und den hohen Energiepreisen zu tun. Besonders die deutsche Industrie leidet, was die mit ihr stark verflochtenen Visegrád-Staaten mit nach unten zieht“, erklärt Vasily Astrov, Senior Economist am wiiw und Hauptautor der Sommerprognose. 

Verlangsamung des Wirtschaftswachstum prognostiziert

Für 2023 prognostiziert das wiiw den EU-Mitgliedern der Region, dass sich der Wirtschaftswachstum auf durchschnittlich 1,2 Prozent verlangsamen wird. Damit dürften sie noch immer mehr als doppelt so stark wachsen wie die Eurozone (0,5 Prozent). Vor allem die südosteuropäischen EU-Mitglieder Rumänien (3,0 Prozent) und Kroatien (2,5 Prozent) zeigen sich vergleichsweise stark, während die Visegrád-Länder mit durchschnittlich 0,6 Prozent nur geringfügig expandieren. Die Staaten am Westbalkan werden im Schnitt um 1,9 Prozent wachsen, die Türkei mit 2,6 Prozent etwas stärker. Auch wenn die meisten Länder der Region mit Ausnahme von Ungarn (minus 0,5 Prozent) eine ganzjährige Rezession vermeiden können, erleiden sie 2023 gegenüber dem Vorjahr einen Wachstumseinbruch.

Umgekehrt verhält es sich mit den vom Ukraine-Krieg hauptbetroffenen Ländern der Region. Das unter Sanktionen und stark sinkenden Energieeinnahmen leidende Russland wächst heuer dank boomender Rüstungsindustrie voraussichtlich wieder um 1,0 Prozent, Die Ukraine könnte sich nach dem verheerenden Einbruch 2022 (minus 29,1 Prozent) im laufenden Jahr mit einem Wachstum von 2,0 Prozent leicht erholen. Auch Belarus (1,9 Prozent) und die Moldau (2,5 Prozent) dürften nach einer tiefen Rezession im vergangenen Jahr heuer wieder expandieren.

„Gegenüber dem Frühjahr haben sich die Abwärtsrisiken für unsere Prognose deutlich erhöht“, sagt Astrov. „Neben einer jederzeit möglichen militärischen Eskalation des Ukraine-Krieges belasten vor allem die Rezession in Deutschland und zusätzliche Leitzinserhöhungen durch die EZB die Aussichten. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie leidet enorm unter den im Vergleich zu den USA viel höheren Energiekosten. Das ist natürlich Gift für die Konjunktur in Ostmitteleuropa“, so Astrov. 

Leichte Erholung in der Ukraine erkennbar

Nach dem dramatischen BIP-Einbruch um fast ein Drittel (minus 29,1 Prozent) im vergangenen Jahr sollte sich die Ukraine mit einem Wirtschaftswachstum von 2,0 Prozent heuer leicht erholen können. Diese Prognose basiert auf der Annahme, dass der Krieg nicht weiter eskaliert. Die Energieengpässe durch die russischen Bombardements konnten weitgehend behoben werden. Die Stimmung bei den Unternehmen ist leicht positiv, die Inflation rückläufig. Arbeitslosigkeit und Armutsquote liegen dennoch bei jeweils über 20 Prozent. „Der Internationale Währungsfonds hat der Ukraine kürzlich bestätigt, dass sie alle Auflagen erfüllt. Damit gibt es grünes Licht für die Auszahlung der nächsten Kredittranche über 900 Millionen US-Dollar. Wohl noch wichtiger ist das positive Signal an ausländische Investoren“, sagt Olga Pindyuk, Ukraine-Expertin des wiiw. Angesichts des enormen Finanzbedarfs des Landes bleibt die westliche Unterstützung lebensnotwendig. 

Boomende Rüstungsindustrie in Russland bringt Wirtschaftswachstum

Trotz der westlichen Sanktionen dürfte Russlands Wirtschaft heuer um 1,0 Prozent wachsen. „Die Hauptgründe dafür sind die boomende Rüstungsindustrie und der wieder anziehende Privatkonsum aufgrund steigender Reallöhne“, analysiert Vasily Astrov, der auch Russland-Experte des wiiw ist. Die privaten Konsumausgaben haben bereits wieder das Niveau von 2021 erreicht. Laut offiziellen russischen Zahlen sind die Militärausgaben enorm gestiegen. Das treibt vor allem die Industrieproduktion. Die Inflation ist dagegen stark rückläufig (Prognose für 2023: 5,1 Prozent), wobei die aktuelle Rubelschwäche wieder für einen Preischub sorgen könnte. 

Neben den Sanktionen – vor allem bei Energie und Hochtechnologie – begrenzt auch der um sich greifende Fachkräftemangel durch Auswanderung und Mobilmachung die Wachstumsaussichten“, so Astrov. Schwer zu schaffen machen Russland die massiv eingebrochenen Einnahmen aus dem Energiegeschäft. Von Jänner bis Mai 2023 sanken die Budgeterlöse des Staates aus dem Verkauf von Öl und Gas um die Hälfte, während die Ausgaben um 27 Prozent stiegen. Eine Zeit lang wird Russland mit den daraus resultierenden Budgetdefiziten leben können. Angesichts der Kriegskosten stellt sich allerdings die Frage, wie lange“, betont Astrov.

Inflation hat Zenit überschritten

Die Inflation hat in praktisch allen beobachteten Ländern ihren Zenit überschritten. Trotzdem dürfte sie noch für einige Zeit hoch bleiben. Im Durchschnitt wird sie in der Region 2023 mit rund 16 Prozent fast drei Mal so hoch liegen wie in der Eurozone (5,7 Prozent). Die Haupttreiber der Inflation in Mittel-, Ost- und Südosteuropa sind die hohen Lebensmittelpreise und steigende Unternehmensgewinne. Von einer klassischen Lohn-Preis-Spirale kann also nicht die Rede sein, weshalb die Teuerung über Zinserhöhungen nur schwer in den Griff zu bekommen sein wird“, sagt Vasily Astrov.

Österreich: Noch immer 78 Prozent Anteil an russischem Erdgas 

Österreichs wirtschaftliche Entkoppelung von Russland vollzieht sich nur schleppend. Bestes Beispiel dafür sind die Erdgas-Lieferungen. Obwohl die aus Russland importierten Mengen sinken (minus 38 Prozent im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr), lag der Anteil an russischem Erdgas hierzulande noch immer bei 78 Prozent (Februar 2023), was auch die EU-Kommission kritisiert. Als Wachstumsmarkt für die heimische Wirtschaft dürfte Russland angesichts des Ukraine-Krieges und der Sanktionen längerfristig ausfallen. 

Momentan gilt das angesichts der negativen Wachstumsraten im 1. Quartal in Polen, Tschechien und Ungarn – nur die Slowakei blieb davon verschont – auch für die ansonsten so dynamischen Visegrád-Staaten. Gemeinsam mit Deutschland und Österreich bilden sie das industrielle Herz Mitteleuropas und leiden stark unter dem Abschwung der deutschen Industrie.

Südosteuropa als Lichtblick für Österreichs Wirtschaftswachstum

Ein Lichtblick für Österreichs Wirtschaftswachstum tut sich hingegen in Südosteuropa auf. Vor allem Rumänien (3,0 Prozent), Kroatien (2,5 Prozent) und die Türkei (2,6 Prozent) wachsen im regionalen Vergleich stark. Auch am Westbalkan läuft es etwa in Albanien (3,3 Prozent), dem Kosovo (3,4 Prozent) und Montenegro (3,5 Prozent) recht gut. „Für Österreich, als traditionell sehr wichtigem Investor in diesen Ländern, bietet das natürlich große Chancen“, konstatiert Vasily Astrov.

(pi)

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