Echte Anerkennung und Wertschätzung von Vorgesetzten kann den entscheidenden Unterschied sowohl für die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens als auch für die Gesundheit der Belegschaft ausmachen. Der Sozialpsychologe Johannes Siegrist erklärt warum und woran es vielfach hapert.
81.396 Stunden. So viel Zeit verbringen die meisten von uns mit Arbeit – laut Berechnungen des internationalen Gallup Instituts. Das Einzige, womit wir mehr Zeit verbringen, ist Schlafen. Regelmäßig erhebt Gallup im Bericht „State of the Global Workplace” die emotionale Bindung von Mitarbeitenden in Unternehmen, den Stress-Level sowie ihre Lebenszufriedenheit. Zuletzt wurden 105.080 Arbeitnehmende in 146 Ländern befragt.
19 Prozent sind unglücklich
Wie steht es also um die Zufriedenheit mit dem Job? Geht es nach dem internationalen Markt- und Meinungsforschungsinstitut nicht gut. Laut Gallup sind 60 Prozent der Menschen bei der Arbeit emotional distanziert und 19 Prozent sind regelrecht unglücklich.
Die drastischen Zahlen für den DACh-Raum: In Deutschland weisen nur 16 Prozent aufgrund der am Arbeitsplatz erlebten Führung eine hohe emotionale Bindung auf, in der Schweiz sind es 11 Prozent und in Österreich 9 Prozent. Die veränderten Arbeitsbedingungen durch Corona reichen als Erklärung für die Zahlen im Sinkflug nicht aus.
Innere Kündigung kostet 11 Prozent des globalen BIP
Dabei kann ein Arbeitsplatz, der einen unglücklich macht, das Leben mehr beeinträchtigen, als Arbeitslosigkeit, heißt es bei Gallup. Und die mangelnde Begeisterung für das Arbeitsumfeld hat selbstredend starken Einfluss auf die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Und kostet sie so richtig viel Geld: Gallup hat errechnet, dass geringe Mitarbeiterbindung die Weltwirtschaft pro Jahr um 7,8 Billionen US-Dollar bringt. Das sind rund 7,3 Billionen Euro oder 11 Prozent des globalen BIP.
Ein Faktor, der Abhilfe schaffen könnte, und der in den Führungsriegen immer noch zu wenig Beachtung findet, ist Wertschätzung und Anerkennung. „Nicht geschimpft ist genug gelobt” ist eindeutig das falsche Leitmotiv. Soft Skills in den Chefetagen sind immens wichtig.
Einer Studie von 2021 des HR-Dienstleisters Personio zufolge sind in deutschen Betrieben mangelnde Wertschätzung für ein Viertel der Befragten plus das schlechte Management für beinahe jeden Fünften (18 Prozent) unter den Top-5-Kündigungsgründen zu finden. Ähnliches dürfte für Österreich gelten.
Wir haben den Schweizer Sozialpsychologen und Professor an der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf Johannes Siegrist befragt, woran es bei der Anerkennung im Beruf hapert.
xBN.news: Warum fehlt häufig die Anerkennung im Beruf?
Prof. Dr. Johannes Siegrist: Aus meiner Sicht sind drei Gründe hierfür verantwortlich. Erstens besteht bei Führungskräften und im höheren Management häufig ein Defizit an grundlegenden Kenntnissen zur Bedeutung beruflicher Anerkennung für die Leistungsmotivation und die Gesundheit von Beschäftigten.
Wertschätzung für erbrachte Leistung angemessen auszudrücken ist eine der drei zentralen Belohnungskomponenten beruflicher Arbeit – neben fairer Bezahlung und beruflicher Weiterentwicklung sowie Arbeitsplatzsicherheit.
Erfahrene Anerkennungsdefizite oder -krisen sind eine wichtige Ursache mangelnder betrieblicher Bindung, hoher Fehlzeiten und Kündigungsabsichten. Vor allem tragen sie zu der stressbedingten Last psychischer Erkrankungen bei Beschäftigten bei. So verursachen sie auch noch Zusatzkosten für die Betriebe.
Wertschätzung für erbrachte Leistung angemessen auszudrücken ist eine der drei zentralen Belohnungskomponenten beruflicher Arbeit
Prof. Dr. Johannes Siegrist
xBN.news: Wie wirkt sich fehlende Anerkennung auf die Gesundheit der Mitarbeitenden aus?
Prof. Dr. Johannes Siegrist: Die internationale Forschungsevidenz zeigt, dass fehlende berufliche Anerkennung bei hoher Verausgabung das Risiko der nachfolgenden Entwicklung einer depressiven Erkrankung um ca. 70 Prozent erhöht gegenüber denjenigen, die diesen Mangel nicht erleiden. Vergleichbar hoch ist das relative Risiko längerer Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer depressiven Störung, wenn eine berufliche Anerkennungskrise vorliegt. Weitere dieser Form von Arbeitsstress zuzurechnende gesundheitliche Risiken sind erhöhte Blutdruckwerte und erhöhtes Auftreten einer koronaren Herzkrankheit.
xBN.news: Welche weiteren Ursachen für seltenen wertschätzenden Umgang orten Sie?
Prof. Dr. Johannes Siegrist: Ein zweiter Grund liegt in einem oft unzureichend geschulten Führungsverhalten in Unternehmen. Führungskräfte werden häufig ausschließlich nach fachlichen und betriebswirtschaftlichen Kriterien ausgewählt, ohne dass soziale Kompetenzen berücksichtigt werden. Erfolgreiches Führungsverhalten erfordert jedoch den Einsatz dieser Kompetenzen.
Etablierte Schulungsprogramme konzentrieren sich in der Regel auf kommunikatives Verhalten und versäumen es, weitere entscheidende Aspekte wie Kooperationsbereitschaft, Empathie, Vertrauen und Beachtung moralischer Prinzipien in die Schulung einzubeziehen.
Für die Entwicklung einer betrieblichen Anerkennungskultur fehlen oft Verständnis, Zeit und Investititionen in eine entsprechende Infrastruktur.
Prof. Dr. Johannes Siegrist
Drittens dominiert in einer wettbewerbsintensiven Unternehmensführung die Orientierung an effizientem Arbeitsablauf und Optimierung von ,shareholder value’. Für die Entwicklung einer Mitarbeiterorientierung und, damit zusammenhängend, einer betrieblichen Anerkennungskultur, fehlen Verständnis, Zeit und Investititionen in eine entsprechende Infrastruktur. Dies könnten beispielsweise Mitarbeiterforen, betriebseigene Dienstleistungs- und Freizeitangebote sein. Zudem werden Führungskräfte periodisch ausgetauscht, anstatt längerfristige Vertrauensbeziehungen zu Mitarbeitenden zu ermöglichen.
xBN.news: Das bringt mich zur Frage: Hat Wertschätzung in einem kapitalistisch orientierten Wirtschaftssystem überhaupt einen Platz?
Prof. Dr. Johannes Siegrist: Das die kapitalistische Wirtschaft leitende Prinzip Eigennutz hat dazu geführt, dass fundamentale Werte wie Tauschgerechtigkeit, Fairness und solidarisches Handeln sich nicht angemessen entfalten können.
Besonders destruktiv wirkt sich dies in der Finanzwirtschaft aus, deren Einfluss gegenüber der Realwirtschaft bedrohlich angewachsen ist. Hier ist das Prinzip ,Leistung’ bzw. ,Ware’ gegen ,Geld’ weitgehend ausgehöhlt, wie man an exzessiven Bonizahlungen sehen kann.
Ebenso fehlt das persönliche Haftungsrisiko bei abhängig Beschäftigten und damit das Regulativ der Verantwortung. Diese bankentypischen Entlohnungssysteme im Verein mit einer deregulierten Wirtschaft waren am Zustandekommen der Finanzkrise ab den Jahren 2007 und 2008 maßgeblich beteiligt. Ob die Entscheidungsträger aus dieser Krise die erforderlichen Folgerungen gezogen haben, ist weiterhin fraglich.
xBN.news: Wir danken für das Gespräch!