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Christian Mitterdorfer, Vice President Europe bei Titan Machinery, im Interview

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Christian Mitterdorfer, Vice President Europe bei Titan Machinery. © Titan Machinery

Seit Ende 2011 ist Titan Machinery, einer der weltweit größten Händler von landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten, in Europa aktiv. Von den USA aus startete das Unternehmen seine Europaoffensive in Rumänien und legte dort den Grundstein für die europäische Erfolgsgeschichte: Mittlerweile verfügt Titan Machinery über 40 Standorte in fünf Ländern Europas, unter anderem in der Ukraine, wo man es trotz der aktuell besonders schwierigen Lage geschafft hat, die 17 Standorte weiterzubetreiben. Wir haben mit Christian Mitterdorfer, Vice President Europe bei Titan Machinery, über die aktuelle wirtschaftliche Lage in der Ukraine sowie Zukunftsaussichten und Wachstumsziele am europäischen Markt gesprochen.

Herr Mitterdorfer, Titan Machinery ist bereits seit 10 Jahren in der Ukraine als Händler von Landmaschinen und -geräten aktiv. Wie wirken sich die kriegerischen Aktivitäten auf das Geschäft aus?

Unser exklusives Vertriebsgebiet von Case IH Neumaschinen erstreckt sich über ca. 40 Prozent der Ukraine. In weiteren 30 Prozent sind wir als Ersatzteil- und Servicehändler tätig und vertreiben Maschinen zur Bodenbearbeitung, unter anderem der Firmen Kuhn und Bednar sowie Gebrauchtmaschinen. Glücklicherweise befindet sich keiner der 17 Standorte mit insgesamt 200 Mitarbeitern in jenem Gebiet, das derzeit von Russland besetzt ist. Wirtschaftlich bedeutet das einen großen Unterschied, da in den nichtbesetzten Gebieten die Aussaatzahlen zum Glück annähernd noch so hoch sind wie im letzten Jahr. In den besetzten Gebieten sind es oft nur mehr 10 Prozent im Vergleich zu vor dem Krieg.

Wie geht man als internationales Unternehmen mit dieser Situation um? Was waren konkrete Maßnahmen nach Kriegsbeginn?

Natürlich kümmert man sich zuerst um die Sicherheit der Mitarbeiter vor Ort: Die Serviceteams durften nicht mehr raus zu den Kunden und die Lage in den einzelnen Gebieten wurde rund um die Uhr beobachtet. Wir haben bereits Wochen vor dem Krieg sogenannte Kommunikationsketten für den Ernstfall etabliert, so waren und sind wir jederzeit mit allen Mitarbeitern in Kontakt, das ist im Ernstfall eine große Hilfe. Außerdem hatten und haben wir natürlich unsere Maschinen im Land immer im Blick. Auch hier haben wir bereits vor dem Krieg das Land in sogenannte Risikocluster eingeteilt und Vermögenswerte, sprich Maschinen, weniger bis kaum in den östlichen Filialen ausgestellt. Als es dann im Februar zum Ernstfall kam, haben wir zuerst die weitere Zufuhr ins Land gestoppt und Vermögenswerte im Land vom Osten in den Westen verlagert bzw. einen kleineren Teil auch außer Landes gebracht. Für den Geschäftsverlauf 2022 haben wir zuerst mit einem großen Umsatzausfall gerechnet.

Wie hat sich der Umsatz in der Ukraine dann tatsächlich entwickelt?

Wesentlich besser als angenommen: Wir haben beim Neu- und Gebrauchtmaschinenumsatz ca. 50 Prozent des Vorjahres erreicht. Wahrscheinlich wäre auch noch mehr möglich gewesen, aber durch die globale Supply-Chain-Krise und die schlechten Vorhersagen haben unsere Lieferanten einen Teil der Maschinen auf andere Märkte verteilt, die ursprünglich für die Ukraine bestimmt gewesen wären. Dadurch haben wir ca.10 Millionen Dollar Umsatz zusätzlich eingebüßt. Der Umsatz durch Ersatzteilverkauf und Serviceleistungen ist fast auf Vorjahresniveau geblieben, weil sich die Kollegen vor Ort sehr schnell an die neuen Gegebenheiten angepasst und unter entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen weitergearbeitet haben. Bei uns stehen die Kunden im Fokus, und Service am Kunden ist uns extrem wichtig.

Das fehlende Maschineninvestment ist zum einen durch die Unsicherheit unter den Kunden zu erklären und zum anderen haben Kunden 2022 mehr in Lagermöglichkeiten für die Ernte, die nicht aus dem Land gebracht werden konnten, investiert.

Für die Zeit nach der Krise erwarten wir einen großen Boom, möglicherweise wird das schon im zweiten Halbjahr 2023 beginnen.

Christian Mitterdorfer

Ist es in der aktuellen Lage von Vorteil ein amerikanisches Unternehmen zu sein?

Aktuell ist es irrelevant, weil die Ukraine schon länger westlich orientiert ist. Für die Zukunft wird es vermutlich von Vorteil sein, weil die finanzielle und militärische Hilfe hauptsächlich aus den USA kommen wird und Amerika dann auch beim Wiederaufbau eine große Rolle spielen wird. Man erinnere sich nur an den Marshallplan bei uns nach dem zweiten Weltkrieg. Das wird sich für amerikanische Unternehmen im Land, die auch amerikanische Produkte verkaufen, positiv auswirken. Beides trifft auf Titan Machinery zu.

Wie ist die Strategie für das restliche Jahr bzw. für 2023?

Wir werden auf jeden Fall in der Ukraine bleiben und versuchen, die Verluste so gering wie möglich zu halten. Für die Zeit nach der Krise erwarten wir einen großen Boom, möglicherweise wird das schon im zweiten Halbjahr 2023 beginnen. Der Wiederaufbau wird natürlich herausfordernd, nachdem die Ukraine aktuell ein Fünf-Milliarden-Dollar-Defizit pro Monat hat, das von außen, also von der westlichen Gemeinschaft abgefedert werden muss. Bis sich das Land wirtschaftlich wieder erholt hat, wird es noch dauern, trotzdem rechnen wir mit einem großen Aufschwung spätestens im Jahr 2024.

Wie entwickelt sich das Geschäft in den anderen Märkten Europas für Titan Machinery?

In den Balkanländern Rumänien und Bulgarien sind die Ergebnisse ausgesprochen erfreulich. Unsere Kunden konnten ihre Ernte aufgrund der hohen Commodity-Preise sehr gut verkaufen. In beiden Märkten haben wir mit der Marke Case IH ca. 19 Prozent Marktanteil und somit sind Rumänien und Bulgarien in Europa die Märkte mit den höchsten Marktanteilen für Case IH. Ziel ist es, in diesen Ländern die Marktführerschaft zu erreichen.

Titan Machinery ist seit 2018 auch in Deutschland tätig, welche Entwicklungen sehen Sie hier?

Nach anfänglichen Startschwierigkeiten geht es seit einiger Zeit Jahr für Jahr voran und der Trend geht weiter klar nach oben. Für 2023 wollen wir in Deutschland nicht nur die Marktanteile erhöhen, sondern auch die Zahl der Niederlassungen, indem wir das zum Teil vorhandene B-Händlernetz zunehmend in einen Eigenvertrieb überführen werden. Aktuell betreiben wir in Deutschland sechs Standorte mit 100 Mitarbeitern.

Welche Maschinen werden in Europa stark nachgefragt?

Vor allem in Osteuropa werden sehr große Ackerflächen bewirtschaftet, genauso wie im Osten Deutschlands. Das heißt, in allen vier Märkten, die wir aktuell in Europa bedienen, gibt es sehr große Landwirtschaftsbetriebe. Betriebsgrößen von mehreren 10.000 Hektar sind keine Seltenheit. In der Ukraine haben wir auch einige Kunden mit Flächen über 100.000 Hektar, das ist schon recht beeindruckend. Nur zum Vergleich: Das gesamte Marchfeld hat rund 100.000 Hektar. Dafür werden natürlich viele große Maschinen benötigt. Für viele überraschend mag sein, dass in Osteuropa auch schon sehr stark mit Precision Farming gearbeitet wird, also mit Maschinen, die digital sehr gut ausgestattet sind, inklusive Fernwartung. Umsatzbringer sind antriebsstarke Traktoren mit über 300 bis 400 PS und große Mähdrescher. Unser größtes Traktor-Modell, der Quadtrac, liefert über 600 PS.

Der Case Quadtrac 620 © Case IH

Was versteht man unter Precision Farming und wie kann man sich Fernwartung bei einem Traktor vorstellen?

Unter Precision Farming versteht man den Einsatz von digitalen Verfahrenstechniken im Rahmen der Digitalisierung der Landwirtschaft. Ziel ist es dabei, die Heterogenität einer Ackerfläche durch Messung der variablen Daten und deren Dokumentation und daraus abgeleitet, den zielgerichteten Einsatz von Maßnahmen zu steuern. Das beginnt bei einer auf 2,5 cm genauen Spursteuerung der Maschinen und geht bis zur teilflächenspezifischen Bearbeitung. Durch die neuen Düngeverordnungen in den einzelnen EU-Ländern wird auch eine neue Spritztechnologie immer wichtiger. Hier werden beispielsweise optische Sensoren eingesetzt, die aufgrund der Farbe Kulturpflanzen von Unkraut unterscheiden und dieses gezielt bekämpfen können. Dadurch wird nicht mehr das gesamte Feld behandelt und so neben dem Geldbeutel auch die Umwelt geschont. 

Bei der Fernwartung, vergleichbar der Telemetrie in der Formel 1, muss natürlich die technische Ausstattung der Maschinen gegeben sein, die es unseren Serviceteams ermöglicht, Fehler via Fernwartung – im sogenannten Control Room – zu erkennen und im besten Fall gleich online zu lösen, ohne dass ein Team losgeschickt werden muss. Und auch bei der Wartung der Maschine vor Ort ist es eine große Zeitersparnis, schon vorab zu wissen, wo der Fehler liegt.

Welche Industriezweige sehen Sie, abseits der Landmaschinenindustrie, als zukunftsweisend? 

Alle Branchen, die sich mit Energienutzung und -effizienz auseinandersetzen sind künftig sicher noch stärker gefragt. Zusätzlich wird man sich mit dem Pflegethema auseinandersetzen müssen. Wir werden ja alle immer älter und auch alles rund um das Digitalisierungsthema wird weiterhin boomen. Im Bereich der Landwirtschaft wird Ernährung und das rasante Bevölkerungswachstum eine große Rolle spielen. Bebaubare Flächen im Sinne des Anbaus von Lebensmittel wachsen nicht und so wird es noch wichtiger sein, noch effizienter zu arbeiten. Langfristig werden aber die Flächen den Bedarf nicht mehr decken können und es wird notwendig sein, sich mit alternativen Ernährungsformen auseinanderzusetzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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