In der sich aktuell rapide verändernden geopolitischen Weltordnung nimmt Saudi-Arabien verstärkt eine Vermittlerrolle zwischen China und den USA ein. Die wirtschaftliche Öffnung sowie diverse Großprojekte zeigen den wachsenden globalen Einfluss und verstärken die bilateralen Geschäftsbeziehungen mit Österreich, wie auch die massive Präsenz von Aramco beim Internationalen Wiener Motorensymposium 2025 zeigte. xBN traf Dr. Margarete Schramböck, Bundesministerin a.D. sowie Board Member Aramco Digital, zum Interview.
Mitte Mai war der US-Präsident Donald Trump in Saudi-Arabien. Wie bewerten Sie die wachsende geopolitische Rolle Saudi-Arabiens?
Wir sprechen von einer sich ändernden Weltordnung und Saudi-Arabien spielt eine zunehmend wichtige Rolle auf der geopolitischen Bühne. Die wirtschaftliche Öffnung, die Vision 2030 sowie die Vielzahl an internationalen Großprojekten wie EXPO 2030 zeigen den wachsenden globalen Einfluss des Landes. Saudi-Arabien ist zentral gelegen, und baut seine internationalen Beziehungen täglich aus, insbesondere Richtung USA und China, was der Besuch beider Staats- und Regierungschefs gezeigt hat. Europa muss mit diesem Tempo schritthalten und eine Rolle als verlässlicher und vor allem geeinter Partner finden. Die Herausforderung Europas ist, dass Entscheidungen langsam getroffen werden und dass es viele, oft zu viele verschiedene Ansprechpartner gibt.
Sie sind im Board der Aramco Digital, was macht die Aramco Digital und was ist Ihre Funktion dort?
Aramco Digital hat als klares Ziel die saudische Wirtschaft, insbesondere die Produktions- und Infrastrukturbetriebe in ihrer digitalen Transformation rasch voranzubringen. Darin liegt ein großes Wachstumspotential für Saudi-Arabien sowie die gesamte Region GCC. Saudi-Arabien hat nicht nur geringe Energiekosten und umfangreiche Gasreserven, die der Industrie zur Verfügung gestellt werden, sondern hat auch viele junge technisch ausgebildete Talente. 75 Prozent der Bevölkerung sind unter 35 Jahre alt und mit guter schulischer und universitärer Ausbildung. Bemerkenswert ist, dass 58 Prozent der Ingenieure in Saudi-Arabien weiblich sind.
Wie erleben Sie die Sicherheitsfrage im Moment persönlich?
Die Spannungen in der Region rund um Saudi-Arabien sind bekannt, dennoch spürt man dies im Alltag hier in Saudi-Arabien nicht, weder am Land noch in den großen Städten. Saudi-Arabien investiert viel in seine Sicherheit und seine Wirtschaft wächst sehr stark. Die Zahl der internationalen Besucher steigt ständig, sowohl im Tourismus als auch für Geschäftsreisen. Im letzten Jahr gab es mehr als 30 Mio. Besucher, die als Touristen oder Geschäftsreisende nach Saudi kamen.
Wie ist es in Saudi-Arabien zu leben als Frau? Hat sich etwas verändert oder werden Frauen immer noch unterdrückt?
Ich hatte die Ehre, viele saudische Frauen in Führungsrollen kennen zu lernen, Vize-Ministerinnen, Botschafterinnen, Unternehmerinnen und sogar zwei junge Astronautinnen. In Saudi-Arabien gibt es mittlerweile eine generelle Frauenquote als Teil der Vision 2030. Das ursprüngliche Ziel eines Frauenanteils von 30 Prozent an der Erwerbsquote haben sie im ersten Quartal 2024 bereits erreicht. Das neue Ziel liegt bei 40 Prozent im Jahr 2030. Es wird klar kommuniziert, dass die wirtschaftlichen Ziele ohne eine Beteiligung der Frauen nicht erreicht werden könne. Interessant ist, dass die Mehrheit der Gründungen von Unternehmen durch Frauen erfolgen, sowohl bei den Start-Ups als auch bei klassischen SMEs. In den Familien sind ebenso starke Veränderungen im Gange. Viele junge Frauen und Männer ziehen nach Riad, der stark wachsenden Hauptstadt mit ca. 8 Mio. Einwohnern. Im Gesellschaftsleben ändert sich die Rolle der Frau stark, sie engagieren sich aktiv und haben sehr viel Spaß daran.
Saudi-Arabien baut seine internationalen Beziehungen täglich aus. Europa muss mit diesem Tempo schritthalten und eine Rolle als verlässlicher und vor allem geeinter Partner finden. Die Herausforderung Europas ist, dass Entscheidungen langsam getroffen werden und dass es viele, oft zu viele verschiedene Ansprechpartner gibt.
Das Land wächst sehr stark, es gibt viele Projekte, wie erlebt man das vor Ort?
Das Wachstum ist vor Ort stark spürbar. Gigaprojekte wie NEOM, Qiddiya, das Red Sea Project oder Roshn verändern das Land rasant. Der Transformationsprozess ist beeindruckend und bietet viele Chancen – auch für österreichische Unternehmen.
Stark wächst auch der Automobilsektor und Aramco war beim Internationalen Wiener Motorensymposium 2025 prominent vertreten. Welche Entwicklungen sind hier im Gange?
Saudi-Arabien investiert in den Aufbau verschiedener Industrien. Eine besondere Rolle wird die Automobilindustrie spielen. Im Augenblick entsteht mit CEER eine eigene Produktion an Elektrofahrzeugen Made in Saudi. Rund herum entsteht der King Salman Automotive Cluster, wo neben CEER auch bereits Unternehmen wie Lucid, Hyundai und Pirelli aktiv vertreten sind. Natürlich setzt Saudi-Arabien auch auf die klassische Mobilität zu Land und zu Wasser.

Bundesministerin a.D. sowie Board Member Aramco Digital
The LINE wird in seinem Umfang ja jetzt nicht so gebaut wie geplant, heißt das, dass andere Projekte auch stocken? Geht den Saudis das Geld aus?
In Europa kennen viel nur The Line, es ist eines von vielen Projekten. Saudi-Arabiens junge Bevölkerung traut sich viel zu und trägt die zahlreichen Vorhaben stolz und begeistert mit. Es wäre fast zu viel, sie alle einzeln aufzuzählen. Hier einige wenige: eine Entertainment Stadt 100 km außerhalb der Hauptstadt Namens Qidia, ein historischer Stadtkern namens Diriyah mit autofreien Straßen für die Menschen, die dort leben und Besucher und das berühmte Projekt NEOM, das an Fläche so groß ist wie Belgien. The LINE ist nur ein Teil davon. Der saudische Staatsfonds (Public Investment Fund) verfügt über rund 600 Mrd. USD. Die Finanzierung ist breit aufgestellt – natürlich spielt der globale Ölpreis eine Rolle. Die Reserven sind ausreichend. Bei der Vielzahl an Projekten und der dynamischen Entwicklung ist es nur normal, wenn Projekte mit fixem Datum wie die EXPO 2030 oder die Fußball WM 2032 priorisiert werden.
Diese Vision 2030, von der immer gesprochen wird, was ist das und wie ist das im Vergleich zum europäischen Green Deal zu sehen? Was sind die Schwerpunkte?
Die Vision 2030 ist die umfassende Transformationsstrategie Saudi-Arabiens. Im Zentrum stehen Diversifizierung der Wirtschaft, Reduktion der Abhängigkeit vom Öl, Förderung von Innovation, Bildung und erneuerbare Energien. Überraschend ist für viele, dass bereits 2024 bereits 52 Prozent der Wirtschaftsleistung aus Nicht-Öl-Sektoren kam, Tourismus, Bau, Handel, Unterhaltung und Kunst. Im Vergleich zum europäischen Green Deal, der aus meiner Sicht einseitiger verfasst ist, ist der Fokus stärker auf wirtschaftliche Öffnung und Beschäftigung ausgerichtet. Saudi-Arabien engagiert sich z.B. auch sehr im Bereich Wasserstoff und baut in NEOM das weltweit größte Wasserstoffwerk der Welt. Wird das sofort mit Grünem Strom betrieben? Nein, sondern zuerst mit Gas, mit der Möglichkeit auf grünen Strom zu wechseln, sobald verfügbar. Nicht zu warten, sondern Technologie praktisch anzuwenden und Vorsprung durch Tun und nicht durch diskutieren zu gewinnen, ist hier die Devise.
Im wirtschaftlichen Kampf zwischen den USA und China, wo steht da Saudi-Arabien?
Saudi-Arabien pflegt wirtschaftliche Beziehungen zu beiden Seiten. Ziel ist es, Investitionen und Technologie aus beiden Ländern anzuziehen. Europäische Firmen können hier auch eine wesentliche Rolle spielen mit ihren Innovationen und sie tun es auch in speziellen Sektoren. Ich bin allerdings der Meinung, da ginge noch mehr. Unsere Hidden Champions können sich ruhig trauen. Natürlich muss man die Kultur und die Besonderheiten kennen, die ich in den letzten 1,5 Jahren, die ich hier lebe, sehr gut kennen gelernt habe. Wenn man nach Saudi-Arabien will, ist das Programm INVEST IN SAUDI, das wir ja auch in Österreich kennen, der Startpunkt für die Unternehmen.
Europa wächst jetzt ja nur mehr wenig bis gar nicht, wie schaut das in Saudi-Arabien aus? Wächst die Wirtschaft dort? Was funktioniert und was funktioniert nicht?
Saudi-Arabien wächst dynamisch. Die Reduktion des Ölanteils am BIP auf unter 50 Prozent zeigt, dass die Diversifizierung wirkt. Funktioniert haben Investitionen in Tourismus, neue Energien und Digitalisierung. Die größte Herausforderung ist heute der Fachkräftemangel, überall werden qualifizierte Leute gebraucht, um die laufenden Projekte umzusetzen. Über zu wenig Projekte kann man sich hier nicht beklagen. Allein für die Fußball WM werden 11 neue Stadien gebaut und 4 bestehende saniert.
Auf was muss man gefasst sein, wenn man dorthin expandiert. Was ist mit Dubai und den VAE? Ist das alles wirtschaftlich gleich oder macht es einen Unterschied, wo man sich ansiedelt?
Die arabische Welt ist nicht homogen. Saudi-Arabien konnte man in der Vergangenheit von Dubai aus betreuen, das ist heute nicht mehr so. Der Markt ist mit 32 Mio. Einwohnern groß, die Nachfrage boomt und man muss hier sein, um am Ball zu bleiben. Daher sind viele Manager und Unternehmer von Dubai nach Saudi-Arabien übersiedelt. Für öffentliche Aufträge ist Voraussetzung hier ein Unternehmen zu haben, für internationale Unternehmen muss das Regional Headquarter in Saudi-Arabien sein. Mitarbeiter von draußen ins Land zu senden, reicht schon lange nicht mehr. Basis ist der Aufbau von Vertrauen, gepaart mit Flexibilität und Kompetenz. Ich habe ja auch selbst ein Unternehmen in Saudi-Arabien und erlebe das aus erster Hand.
Saudi-Arabien wird wegen der Menschenrechtslage immer wieder kritisiert – was sagen Sie dazu?
Ich begrüße die Reformen in den Bereichen Menschen- und Frauenrechte. Seit 2021 gibt es einen offiziellen Menschenrechtsdialog mit der EU. Es ist wichtig, im Dialog zu bleiben. Bei den Frauenrechten ist vieles passiert, das weit darüber hinaus geht, was man in Europa weiß. Es gibt neue Rechte in der Familie, in Bezug auf die Kinder, was Reisen betrifft und vor allem was das Arbeiten betrifft. Ich habe viel saudische Freundinnen, die ihre wohl gemerkt neuen Rechte mit Freude nutzen. Es kommen viele junge talentierte Frauen, die in den USA ausgebildet wurden und gearbeitet haben zurück nach Saudi, um an der Transformation des Landes aktiv mitzuwirken.
Geht Ihnen die Politik ab?
Nach 15 Jahren als CEO in internationalen Technikunternehmen und fast fünf Jahren in der Regierung, freue ich mich über das Wachstum und den Erfolg meiner Unternehmungen. Es ist quasi meine dritte Karriere: mit Mitte 50 noch als Unternehmerin im Ausland und in internationalen Aufsichtsratsfunktionen mit viel Freiheit und Wachstum.
Vielen Dank für das Gespräch!