Trotz widriger Umstände gelang es Palfinger, 2022 mit Rekordumsatz abzuschließen. Im xBN-Interview verrät COO Martin Zehnder, wie sich unternehmerische Resilienz herstellen lässt. Die Zeichen für den Anbieter innovativer Kran- und Hebelösungen stehen auf Zukunft, wie er erklärt. Der Technologiekonzern entwickelt sich kontinuierlich zum Lösungsanbieter für das gesamte System rund um den Kran – vom Lkw bis hin zum Unternehmen. Das bedeutet auch, dass neue, digitale Geschäftsfelder erschlossen werden.
Die Sorgen des führenden Herstellers und Anbieters innovativer Kran- und Hebelösungen Palfinger hätten anderen Unternehmen gerne: Vor kurzem gab das Unternehmen mit Sitz in Bergheim bekannt, dass die vorhandenen Produktionskapazitäten bei Mitnahmestaplern für den nordamerikanischen Markt an ihre Grenzen stoßen. Daher ist man mit dem Nutzfahrzeughersteller Steyr Automotive eine strategische Partnerschaft eingegangen. Ab September 2023 wird Steyr Automotive für Palfinger exklusiv Mitnahmestapler für den US-Markt montieren.
Nordamerika ist für Palfinger aktuell der stärkste Wachstumsmarkt. Allein 2022 steuerte die Region 23 Prozent des Konzernumsatzes von 2,23 Milliarden Euro bei. Es war dies ein Rekordumsatz für den börsennotierten Technologie- und Maschinenbaukonzern. Und das, obwohl 2022 für viele Unternehmen ein von massiven Herausforderungen geprägtes Geschäftsjahr war. Als wären die Nachwehen der Corona-Pandemie mit beeinträchtigen Lieferketten und Versorgungsengpässen bei Elektronikkomponenten nicht schon heftig genug gewesen, kam noch der Krieg in der Ukraine hinzu. Dieser verursachte zusätzlich enorme Kostensteigerungen und Unwägbarkeiten.
Dennoch verzeichnete Palfinger beim operativen Ergebnis (EBIT) mit 150,4 Millionen Euro nur einen leichten Rückgang. Alles Grund genug, um mit Vorstandsmitglied Martin Zehnder darüber zu sprechen, wie Palfinger die Schwierigkeiten meistert, wie der Ausblick für das Jahr 2023 ausfällt und was sich Palfinger in Sachen E-Mobilität und Digitalisierung einfallen lässt. Zehnder ist seit 2008 als COO bei Palfinger für die Bereiche Operations, Product Line Management und Engineering, Procurement und Supply Chain Management verantwortlich.
xBN.news: Dass man bei Produktionskapazitäten an die Grenzen stößt, ist an und für sich ein gutes Zeichen. Wie sieht es aktuell mit dem Ausbau der Kapazitäten bzw. der Fertigungsstandorte aus?
Martin Zehnder: Unser Ziel ist es, in den Werken eine Optimalauslastung und keine Ausreißer nach oben oder unten zu haben. Idealerweise gibt es Luft nach oben in einem Ausmaß von rund 20 Prozent. Dabei geht es in erster Linie um Fertigungskapazitäten. Die Schwankungen bei den Mitarbeitern fangen wir über Zeitsysteme, über Leasingkräfte und zusätzliches Personal ab.
Die Mitnahmestapler sind ein Ausnahmefall, den wir rasch und effizient gelöst haben. Die Vorteile sind, dass Steyr Automotive zum einen in der Nähe gelegen ist und zum anderen als Lkw-Montagewerk über Personal mit hoher Kompetenz in der Assemblierung verfügt – das ist eine klassische Win-Win-Situation.
xBN.news: Gibt es weitere derartige Kooperationen?
Martin Zehnder: Eine weitere partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Schlüssellieferanten, bei der wir uns gemeinsam weiterentwickeln, ist jene mit voestalpine. Die voestalpine ist ein wesentlicher Lieferant für die hochfesten Bleche. Es finden regelmäßig gemeinsame Technologierunden statt, in denen Themen wie Biegbarkeit und Schweißbarkeit, mechanische Kennwerte etc. besprochen werden. Das geht wesentlich über ein Einkäufer-Zulieferer-Verhältnis hinaus.
Ausbau der Kapazitäten
Palfinger arbeitet vorrangig am Ausbau seiner bestehenden Kapazitäten. Das betrifft zum Beispiel den Neubau im serbischen Niš oder den Ausbau in Löbau in Sachsen. Im Rahmen unserer Strategie 2030 schaffen wir neue Standorte, der Fokus dabei liegt immer auf Elektrifizierung und Digitalisierung. Beim Standort Löbau festigen wir unsere Kompetenz in der Produktlinie Hebebühnen, bei jenem in Serbien wollen wir im europäischen Produktionsnetzwerk zusätzliche Kapazitäten generieren. Das Werk in Slowenien schließlich soll die Produktionsstätten in Österreich entlasten, die so Kapazitäten für spezialisierte Produkte gewinnen.
xBN.news: À propos Österreich – was spricht für unser Heimatland als Standort?
Martin Zehnder: Was den Standort Österreich auszeichnet, ist die gute Infrastruktur, die hohe Qualität der Ausbildung sowie die gute Zusammenarbeit zwischen Industrie, Politik, Universitäten und Gesellschaft.
xBN.news: Und was fehlt ihm aus Sicht von Palfinger aktuell am meisten?
Martin Zehnder: Der Standort Österreich sieht sich starkem Wettbewerb ausgesetzt. Was hier – wie in anderen Ländern Europas – fehlt, sind Fachkräfte. Was ihn bremst, sind langwierige Behördenverfahren. Nicht nur Österreich, ganz Europa hat aktuell – vor allem im Vergleich mit Nordamerika – mit den hohen Energiekosten zu kämpfen. Dadurch hat eine Art „Deindustriealisierung Europas“ eingesetzt, Europa droht sein wirtschaftliches Rückgrat zu verlieren.
Die Industrie und das verarbeitende Gewerbe jedoch tragen und treiben den Konjunkturaufschwung. Es gilt, proaktiv gegenzuhalten und die Herausforderungen in Chancen für die Industrie zu verwandeln. In der Übergangszeit Richtung zukunftsorientierter Energiepolitik sollten die höheren Energiekosten abgefedert werden, um gegen die USA und China wettbewerbsfähig zu bleiben. Ziel muss es sein, Europas Industrie im Verbund mit den europäischen Forschungseinrichtungen zu einer globalen „Innovationsmaschine” auszubauen. Der Ausbau unseres europäischen Standortnetzwerks sowie der strategischen Partnerschaften sind nur zwei Bausteine und Beispiele für unser klares Bekenntnis dazu.
xBN.news: Wie verkraftet Palfinger die Energiepreisentwicklung?
Martin Zehnder: Wir sind Gottseidank kein extrem energieintensives Unternehmen. Natürlich aber setzen auch uns die höheren Energiepreise zu. Ein Beispiel: In unserem Joint Venture in Rumänien sind die Energiekosten von unter 200.000 auf 240.000 Euro hochgegangen. Konkurriert dieses Werk mit einem, wo der Staat die Energiekosten gedeckelt hat, ist dies extrem wettbewerbsverzerrend.
xBN.news: Wo ist es also global gesehen für Palfinger derzeit am einfachsten und besten zu produzieren – auch hinsichtlich der Lohnnebenkosten beispielsweise?
Martin Zehnder: Wir verfolgen schon seit vielen Jahren den Ansatz, dass wir in der Region für die Region produzieren. Wir versuchen weitgehend, in geschlossenen Kreisläufen zu agieren. Wir haben in allen Regionen ein Produktions- und Montagenetzwerk aufgebaut, das auch dank regionalem Engineering perfekt aufeinander eingespielt ist. Wir profitieren von verkürzten Lieferwegen, unsere Lieferketten sind auf mehreren Beinen aufgestellt. Die Produkte sind exakt auf den jeweiligen Markt hin abgestimmt. Das bedeutet, dass wir nicht von einer Region allein abhängig sind. Und damit haben wir eine sehr gute wirtschaftliche Resilienz.
Natürlich nutzen wir die Möglichkeiten von Lohnvorteilen. Ausschlaggebend aber ist immer und ausnahmslos die Qualität der erbrachten Leistung.
xBN.news: Haben sich die Lieferkettenprobleme für Palfinger gänzlich entschärft?
Martin Zehnder: Das größte Problem war die Verfügbarkeit von Chips. Ein Engpass besteht derzeit noch bezüglich der Lkw-Verfügbarkeit in Nordamerika. Aber die Lieferkettenproblematik allgemein hat sich weitgehend entschärft. Wir haben – wie gesagt – schon frühzeitig begonnen, strategische Partnerschaften mit ausgewählten Lieferanten einzugehen und dabei auf die lokale Wertschöpfung zu achten.
xBN.news: Viele Unternehmen klagen über Mangel an Facharbeitskräften. Wie geht es Palfinger damit? Wie versucht man, gute Arbeitskräfte zu finden und langfristig an das Unternehmen zu binden?
Martin Zehnder: Der demografischen Entwicklung und dem knappen Angebot an Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt setzt Palfinger zwei Strategien entgegen: Zum einen bieten wir mehr Aus- und Weiterbildung im Unternehmen an, sodass die Fachkräfte im Haus und in der Region ausgebildet werden.
Zum anderen kommt Palfinger den Spezialisten im Sinne des Wortes entgegen, zum Beispiel IT-Experten, die sich im The HUB Vienna voll entfalten können. In Wien kommt man einfacher an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heran. Denn in der Bundeshauptstadt mit ihren rund zwei Millionen Einwohnern sind dank Universitäten, Forschungseinrichtungen, Start-ups und internationalen Unternehmen mehr Digital Natives zu finden als sonst wo in Österreich. Zudem reicht ihr Einzugsgebiet bis nach Tschechien, Ungarn und in die Slowakei.
„Employer Branding” wird bei Palfinger groß geschrieben
Für zwölf auf Web- und Anwendungsentwicklung spezialisierte Studenten haben wir die „Digital Masterclass” ins Leben gerufen. Dies ist eine Kombination aus Praktikum und Arbeit an einem echten Projekt mit Expertenschulungen. Das Pilotprojekt ist im März 2023 gestartet und dauert zwölf Wochen. Ziel ist, 30 Prozent der Teilnehmer nach dem Programm einstellen zu können. Bei Erfolg wird das Programm ausgebaut und ausgeweitet.
Vor allem im DACH-Raum bilden wir derzeit mehr als 200 Lehrlinge aus. Darüber hinaus werden in Frankreich, Slowenien und China duale Ausbildungen entsprechend dem österreichischen Standard angeboten. In den nächsten fünf Jahren soll die Anzahl der Lehrlinge verdoppelt werden.
Bereits ein Drittel unserer Lehrlinge absolviert die Lehre mit Matura. Über das Programm „Lehre goes international” werden Aufenthalte an globalen Palfinger-Standorten von Spanien bis China ermöglicht. So bleiben mehr als 95 Prozent aller Lehrlinge nach Abschluss ihrer Ausbildung bei Palfinger.
Das größere Thema ist, bestehende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten. Hier hat die Führungskraft den größeren Einfluss. Wir unternehmen viel hinsichtlich „Employer Branding” und für die Führungskräfte. Dazu gehört auch, dass wir gute Gehälter zahlen. Zudem haben wir interessante Bonus-Programme.
xBN.news: Kommen wir nochmal zu den Kennzahlen: Die EBIT-Marge ist im abgelaufenen Berichtsjahr deutlich gesunken. Woran lag das? Wie passt Palfinger die Preise an?
Martin Zehnder: Unsere Ausgangslage als die Kostensteigerung bei Energie und auch vielen anderen Gütern eingesetzt hat, war ein großer Auftragsbestand. Preiserhöhungen wirken jedoch immer erst zeitverzögert. Das betrifft auch jene des letzten Jahres, also rechnen wir mindestens mit einer Entspannung.
Maximale Transparenz dank „Dynamic Pricing”
Daher haben wir das Dynamic Pricing eingesetzt. Dieses Modell orientiert sich am „Producer Price Index – Manufacture of lifting and handling equipment” der EU 27-Länder (PPI). So können wir das den Kunden transparent weitergeben. Dieser Index fasst auf monatlicher Basis die aus Produzentensicht wichtigsten Kostenfaktoren zusammen. Steigt der Index, steigt der Preis. Fällt er aber, dann sinkt der Preis. So tragen wir zu Kostenwahrheit bei.
Ein konkretes Beispiel: Steigt der PPI gegenüber dem Basisindex bis zum Zeitpunkt der finalen Auftragsbestätigung um 6,5 Prozent, verteuert sich das Produkt um 1,5 Prozent, da eine fünfprozentige Preisanpassung schon im Basispreis berücksichtigt wurde. Sinkt der PPI im Vergleich zum Basisindex um 3,0 Prozent wird das Produkt um 3,0 Prozent günstiger.
Zwölf Wochen vor Auslieferung wird der finale Preis festgelegt. Falls es zu längeren Durchlaufzeiten kommt, gilt der jeweilige Änderungsstopp als relevanter Zeitpunkt.
xBN.news: Im Bemühen um messbare Reduktion von CO2-Emissionen und Lärm lässt sich Palfinger einiges einfallen. Können Sie einige Beispiele nennen?
Martin Zehnder: Beispiel eWorX: Bei batteriebetriebenem Lkw braucht es eine Schnittstelle, um unsere Produkte antreiben zu können. eWorX ist eine standardisierte elektrische Schnittstelle, mit der man über einen Elektromotor die nötigen Hydraulikpumpen antreiben kann.
Oder Beispiel eDrive: Die Hubarbeitsbühne, die auf einem Diesel-Lkw montiert ist, kann man mit einem mitverbauten Batteriepaket einsetzen. Das ist insbesondere in Städten wichtig – so reduziert man Lärm und Abgase.
„Digitalisierungs-Cockpit” zur Feinadjustierung
Bei „Go Digital” geht es um die digitale Transformation des Unternehmens. Sie findet in allen Bereichen prozessual statt und bei den Produkten. Bei Letzteren kommen Assistenzsysteme zum Einsatz. So können wir sowohl Produktivität als auch Sicherheit erhöhen. Bei den Prozessen geht es um die IT-Struktur – großes Thema ist hier ein global ausgerolltes ERP damit alle nach dem gleichen System arbeiten und wir Prozesse automatisieren können.
Wir haben ein sogenanntes „Digitalisierungs-Cockpit” eingerichtet: Basierend auf verschiedenen Kernthemen bewerten wir quartalsweise, wo wir stehen. Dabei werden viele Kenngrößen inkludiert, auch Cybersecurity ist ein Thema. Die große Herausforderung ist es, dass viele dieser Digitalisierungsoffensiven voneinander abhängen und dass man diese richtig einordnen und schrittweise integrieren muss, um den größtmöglichen Nutzen daraus zu ziehen.