Zuweilen erfahren oder spüren Führungskräfte, dass ein Leistungsträger erwägt, das Unternehmen zu verlassen. Dann sollten sie mit ihm ein Bleibe-Gespräch führen, denn gute Fach- und Führungskräfte sind rar.
Deuten Warnsignale darauf hin, dass ein wichtiger Mitarbeiter kündigen möchte, sollte sein Chef oder Vorgesetzter ein Bleibegespräch mit ihm führen. Ein solches Gespräch hat drei Ziele:
- erkunden, ob die Vermutung richtig ist. Wenn ja,
- herausfinden, wie weit der Mitarbeiter sich mental schon vom Unternehmen entfernt hat. und ob er noch „umgestimmt“ werden kann. Und erneut, wenn ja,
- ihn zum Bleiben motivieren.
Zu einem Bleibegespräch einladen
Sprechen Sie die Einladung zu einem Bleibegespräch nie beiläufig aus. Bitten Sie ihn möglichst, wenn alleine ist, um ein persönliches Gespräch. Nennen Sie, wenn er danach fragt, den Anlass nicht. Sagen Sie stattdessen beispielsweise „Nichts Schlimmes, doch ich würde darüber mit Ihnen gerne in Ruhe unter vier Augen sprechen“. Vereinbaren Sie hierfür einen Termin – auch damit Sie sich vorbereiten können. Fragen Sie sich vor dem Gespräch zum Beispiel:
- Was könnten eventuelle Gründe für eine Wechselabsicht des Mitarbeiters sein? Und:
- Was habe ich als Führungskraft eventuell hierzu beigetragen?
Denn wenn Sie zum Beispiel durch Ihr Verhalten, die Wechselabsicht (unbewusst) gefördert haben, beeinflusst dies die Atmosphäre in dem Gespräch.
Führen Sie das Bleibegespräch an einem Ort, der Ruhe und Vertraulichkeit garantiert. Und nehmen Sie sich Zeit, denn solche Gespräche nehmen oft einen unerwarteten Verlauf. Zum Beispiel, wenn der Mitarbeiter Ihnen Dinge erzählt, die Sie zuvor nicht wussten.
Mit Ich-Botschaften ins Gespräch einsteigen
Teilen Sie zu Beginn des Gesprächs dem Mitarbeiter Ihre Gedanken und Befürchtungen kurz mit. Denn er kennt den Gesprächsanlass ja noch nicht. Vermeiden Sie lange Vorreden, kommen Sie gleich zum Thema. Steigen Sie mit einer Ich-Aussage in das Gespräch ein; zum Beispiel:
- „Ich hatte in jüngster Zeit den Eindruck, dass Sie sich zurückziehen. Deshalb befürchte ich, dass Sie sich mental von uns verabschieden.“ Oder:
- „Unser Unternehmen ist zurzeit in einem Umbruch. Deshalb befürchte ich, dass Sie den Eindruck haben könnten, Ihr Arbeitsplatz sei unsicher und sich nach einer Job-Alternative umschauen.“
Äußern Sie danach Ihr Bedauern, falls Ihre Befürchtungen zuträfen: „Das fände ich schade, weil ich Sie als Mensch und Mitarbeiter sehr schätze und deshalb gerne halten möchte.“ Warten Sie anschließend, bis der Mitarbeiter antwortet. Hören Sie ihm geduldig zu, was er Ihnen zu sagen hat. Stellen Sie maximal Verständnisfragen.
Die möglichen Mitarbeiter-Reaktionen
Auf Ihren Vorstoß gibt es vier mögliche Mitarbeiter-Reaktionen.
Reaktion 1: Der Mitarbeiter versichert Ihnen glaubhaft, dass Ihre Befürchtungen unbegründet sind. Dann hat sich das Gespräch eigentlich erledigt. Trotzdem sollten Sie die Chance nutzen, Ihre Mitarbeiterbeziehung auf eine noch solidere Basis zu stellen. Beispielsweise indem Sie sagen: „Das freut mich. Trotzdem bitte ich Sie: Suchen Sie künftig das Gespräch mit mir, wenn Sie etwas stört. Denn wie bereits gesagt: Sie sind mir als Mitarbeiter wichtig.“
Reaktion 2: Der Mitarbeiter betont, Ihre Befürchtungen seien unbegründet. Sie glauben ihm aber nicht – zum Beispiel aufgrund seiner Körpersprache. Das ist oft der Fall, denn wechselwillige Mitarbeiter sprechen meist ungern mit ihrem Chef über ihre Absicht, solange sie keine Jobalternative haben. Auch dann sollten Sie betonen, dass Sie sich hierüber freuen, weil der Mitarbeiter Ihnen wichtig ist. Danach sollten Sie das Gespräch wie ein normales Mitarbeitergespräch weiterführen, etwa indem Sie sagen: „Davon unabhängig, würde mich interessieren, wie zufrieden Sie mit Ihrer Arbeit sind – schließlich ging es bei uns (zum Beispiel corona-bedingt oder bedingt durch den Ukraine-Krieg oder aufgrund der Digitalisierung oder dünnen Personaldecke) in jüngster Zeit recht turbulent zu.“ Das Ziel hierbei: Die potenziellen Gründe, warum der Mitarbeiter einen Arbeitgeberwechsel erwägen könnte, zu erkunden, um diese dann eventuell aufzulösen.
Reaktion 3: Der Mitarbeiter sagt, er erwäge, den Arbeitsgeber zu wechseln. Dann sollten Sie ihm zunächst für seine Offenheit danken und zum Ausdruck bringen, dass Sie dies als einen Vertrauensbeweis erachten und entsprechend mit der Information umgehen werden. Danach sollten Sie sich detailliert nach den Motiven für den angedachten Wechsel erkundigen, bevor Sie ihn fragen: „Was kann ich oder das Unternehmen tun, damit Sie bleiben? Denn wie bereits gesagt: Sie sind ein wertvoller Mitarbeiter.“
Die Wunschliste des Mitarbeiters können Sie als dessen Chef oder Vorgesetzter aufnehmen und vorsichtig kommentieren, wenn ein Aspekt unmöglich erfüllbar ist. Die Praxis zeigt: Eine mangelnde Wertschätzung, eine schlechte Arbeitsatmosphäre und eine fehlende Befriedigung bei der Arbeit sind, wenn es um das Halten insbesondere hochqualifizierter Mitarbeiter geht, meist größere Probleme als die Höhe des Gehalts.
Reaktion 4: Der Mitarbeiter sagt, er sei fest entschlossen, den Arbeitgeber zu wechseln. Auch dann sollten Sie dem Mitarbeiter zunächst für seine Offenheit danken und seine Motive für den Wechsel erkunden. Zuweilen gibt es persönliche Gründe: Beispielsweise ein Arbeitnehmer hat sich verliebt und möchte deshalb in eine andere Stadt ziehen. Dann können Sie ihm eigentlich nur alles Gute wünschen. Anders ist es, wenn ein Mitarbeiter zum Beispiel sagt, ein Familienmitglied sei ein Pflegefall geworden, weshalb er seinen herausfordernden Job nicht mehr machen könne oder wolle. Dann gibt es in der Regel nur die Alternative, ihn ziehen zu lassen oder mit ihm auszuloten, welche alternativen Möglichkeiten der Arbeitsgestaltung oder Jobalternativen es in der eigenen Organisation gibt.
Wieder anders ist die Situation, wenn der geplante Wechsel in der aktuellen Arbeitssituation begründet ist. Zum Beispiel im schlechten Arbeitsklima, der hohen Arbeitsbelastung, der schlechten Bezahlung oder den geringen Aufstiegschancen. Dann hat sich, wenn ein Mitarbeiter offen sagt „Ich gehe“, obwohl er noch keinen neuen Job hat, meist schon viel Frust bei ihm aufgestaut. Entsprechend schwer ist es, den Mitarbeiter zum Bleiben zu bewegen. Trotzdem sollten Sie es bei wertvollen Mitarbeitern versuchen – selbst wenn Sie dann mit einer massiven Kritik an Ihrem Führungsstil und -verhalten rechnen müssen, denn Unzufriedenheit mit dem Vorgesetzten ist ein häufiger Grund für einen Arbeitgeberwechsel.
Die Voraussetzungen für ein Umdenken ausloten
Hören Sie sich die Beschwerden ruhig an, und sagen Sie dann beispielsweise: „Ich merke, bei Ihnen hat sich viel Unmut angestaut.“ Vermutlich erwidert der Mitarbeiter daraufhin „ja“. Darauf können Sie zum Beispiel antworten: „Es tut mir leid, dass ich dies nicht früher registriert und mit Ihnen darüber gesprochen habe. Denn für mich sind Sie ein wertvoller Mitarbeiter, und ich würde deshalb gerne weiter mit Ihnen zusammenarbeiten. Unter welchen Voraussetzungen könnten Sie sich vorstellen, Ihre Entscheidung zu überdenken?“
Versuchen Sie also, nachdem der Mitarbeiter Dampf abgelassen hat, das Gespräch in ein ruhigeres Fahrwasser zu lenken – unter anderem indem Sie Ihrem Gegenüber Ihre Wertschätzung signalisieren. Danach sollten Sie versuchen, mit dem Mitarbeiter herauszuarbeiten, unter welchen Voraussetzungen er sich vorstellen könnte, dem Unternehmen treu zu bleiben und inwieweit diese Bedingungen erfüllbar sind.
Einen Folgetermin vereinbaren
Hierüber eine Einigung zu erzielen, ist in einem Gesprächstermin oft nicht möglich – sei es, weil Sie mit Kollegen oder Vorgesetzten noch besprechen müssen, inwieweit gewisse Wünsche erfüllbar sind. Oder weil der Mitarbeiter auf Ihre Frage, unter welchen Bedingungen er sich ein Bleiben vorstellen könnte, noch keine Antwort weiß. Dann sollten Sie gegen Ende des Gesprächs als positives Gesprächsergebnis zunächst festhalten: „Schön, wir sind beide noch gesprächsbereit.“ Danach sollten sie gemeinsam in einem Ergebnisprotokoll festlegen, wer was bis wann mit welchem Ziel tut, und einen Termin vereinbaren, bei dem sie sich erneut zusammensetzen.
Nicht selten lassen sich so wechselwillige Mitarbeiter umstimmen und auch emotional wieder ans Unternehmen binden – insbesondere wenn sie im Bleibegespräch eine echte Wertschätzung seitens ihres Arbeitgebers bzw. Vorgesetzten spüren und ein echtes Bemühen, ihre persönlichen Wünsche, soweit möglich, zu erfüllen. Denn sie wissen, dass mit einem Arbeitgeberwechsel stets auch Risiken verbunden sind. Deshalb lohnt sich ein solcher Versuch, denn durch jede ungeplante Kündigung entstehen einem Unternehmen hohe Folgekosten – nicht nur aufgrund der dann nötigen Suche eines neuen Mitarbeiters und dessen Einarbeitung. Viel schwerer wiegen oft die sogenannten „Chaoskosten“, weil dann eine (Schlüssel-)Position meist längere Zeit vakant ist.
Die Kündigung liegt schon auf dem Tisch
Bleibegespräche können Sie mit Mitarbeitern auch noch führen, wenn deren Kündigung bereits auf dem Tisch liegt. Dann müssen Sie in der Regel aber dem Mitarbeiter deutlich mehr bieten, als wenn er noch keine neue Stelle gefunden hat, damit er sich seine Entscheidung nochmals überlegt. Zu Recht, denn dann haben Sie im Vorfeld die Wechselsignale nicht erkannt. Ansonsten läge nicht unverhofft die Kündigung auf dem Tisch.
Zu den Autoren: Klaus Doll ist Inhaber der Klaus Doll Organisationsberatung, seine Frau Nikola Doll arbeitet als Business-Coach insbesondere für Klein- und Mittelunternehmen.