Mit Sorge blicken aktuell viele Unternehmen in die Zukunft. Steigende Kosten und Lieferkettenprobleme gefährden die Produktion. Mitarbeitende sind nur schwer zu finden. Und das wirtschaftliche Klima trübt sich ein. Was können Unternehmen jetzt tun, um diese Herausforderungen zu meistern?
In den zurückliegenden zwei Jahren hat sich das wirtschaftliche Umfeld der Unternehmen radikal verändert. Auch die Unsicherheit wuchs:
- Bekommen wir im Winter noch ausreichend Gas für unsere Produktion?
- Fallen wegen einer neuen Corona-Welle wieder viele Beschäftigte aus?
- Können wir Mitarbeitende, die ausscheiden, noch ersetzen?
- Akzeptieren unsere Kunden die wegen der höheren Kosten erforderlichen Preissteigerungen?
Selten standen Unternehmen vor so vielen Fragezeichen zugleich wie aktuell. „Und daran wird sich mittel-, wenn nicht gar langfristig nichts ändern“, stellt Dr. Jens-Uwe Meyer, Autor des Buchs „Reset – Wie sich Unternehmen und Organisationen neu erfinden“ lakonisch fest. Deshalb stehen aktuell viele Top-Entscheider vor der Herausforderung, „ihre Unternehmen fit für die neue Zeit und veränderten Rahmenbedingungen zu machen“. Doch wie? Einige mögliche Strategien seien genannt.
Strategie 1: Das Wissen sichern, bevor es weg ist
In den nächsten Jahren wird – unabhängig vom weiteren Verlauf des Ukraine-Kriegs, der Corona-Pandemie und des Klimawandels – ein großer Teil der Belegschaft der Unternehmen in Rente gehen. Die freiwerdenden Stellen werden sie immer schwieriger besetzen können. „Denn es gibt einfach zu wenig Nachwuchskräfte – und zwar branchen- und funktionsübergreifend“, betont der Organisationsberater Klaus Doll, Neustadt an der Weinstraße. Das Problem ist: Mit dem Ausscheiden der älteren Fachkräfte fließt meist viel Know-how aus dem Betrieb ab. „Dass Fachkräfte das Unternehmen verlassen, kann man nicht verhindern. Dagegen, dass mit ihrem Weggang aber auch ihr Wissen die Organisation verlässt, hingegen schon.“
Als der Fachkräftemangel noch weniger spürbar war, hieß es bei Problemen im Betriebsalltag oft: „Frag‘ deinen erfahrenen Kollegen“. Dies wird künftig, wenn diese fehlen, oft nicht mehr möglich sein. Deshalb empfiehlt es sich, ihr Fach- und Erfahrungswissen in Wissensdatenbanken zu speichern. Durch konkrete Anleitungen, was in gewissen Situationen zu tun ist, und Video-Tutorials kann man die Einarbeitungszeit neuer Beschäftigter, um bis zu 70 Prozent verkürzen – das zeigen Studien. Auch bei Problemen im Arbeitsalltag helfen Wissensdatenbanken oft weiter – sofern das dort gespeicherte Wissen jederzeit leicht zugänglich ist. „Also sollten die Unternehmen und ihre Verbände solche Datenbanken aufbauen“, erklärt der Buchautor Jens-Uwe Meyer, der zugleich Vorstandsvorsitzender der Softwareschmiede Innolytics AG, Leipzig, ist. Dem pflichtet die Expertin für eine neue Lernkultur in Unternehmen Sabine Prohaska, Wien, bei: „Das Gros der Mitarbeiter vieler Unternehmen sind heute bereits Digital Natives. Diese nutzen privat, wenn sie etwas wissen möchten, ganz selbstverständlich Google & Co.“ Entsprechend hoch sei heute auch die Akzeptanz von Wissensdatenbanken.
Strategie 2: Prozesse standardisieren und soweit möglich digitalisieren
Ein Kunde ruft an und interessiert sich für ein Produkt oder eine Dienstleistung des Unternehmens. Die Antwortmail an ihn ist so individuell wie das Angebot. Mühsam tragen Beschäftigte die erforderlichen Daten zusammen und erstellen eine Leistungsbeschreibung und ein Angebot – weitgehend nach ihrem Gusto. Auch ob, wie und wann die Angebote nachgefasst werden, ist weitgehend Zufall. Ähnlich verhält es sich bei vielen (Teil-)Prozessen und Aufgaben in Unternehmen. Sie werden mal so und mal so erledigt, je nachdem wer zuständig ist. „In Zeiten, in denen ausreichend Personal verfügbar war und die Auftragslage gut und die Preise moderat waren, konnten sich Unternehmen solche Ineffizienzen leisten“, betont der B2B-Vertriebsberater Peter Schreiber, Ilsfeld. „Doch wenn der wirtschaftliche Druck steigt, ist eine Standardisierung der Leistungspakete und Arbeitsabläufe, soweit möglich, nicht nur im Vertrieb unabdingbar.“
„Dieses Standardisieren geht heute einfacher als vor zehn Jahren“, versichert Jens-Uwe Meyer, dessen Unternehmen Managementsoftware für den Mittelstand entwickelt. „Was früher mühsam mit Excel-Listen, Powerpoint-Folien und Word-Dateien umgesetzt wurde, geht heute mit digitalen Assistenten und Vorlagen blitzschnell.“ Er ist überzeugt: Die Digitalisierung hilft Unternehmen, ihre Organisation deutlich effizienter zu gestalten und Ineffizienzen wirksam zu bekämpfen. Dabei müssen sie das Rad nicht stets neu erfinden. „Managementsysteme wie die ISO 9001 bieten eine gute Orientierung bzw. Basis, wenn es um ein marktgerechtes Qualitätsmanagement und das Definieren und Standardisieren von Arbeitsabläufen geht“, betont Organisationsberater Doll. Zumal es inzwischen hierfür spezielle Software-Programme für den Mittelstand gibt – zum Beispiel von Innolytics.
Strategie 3: Versteckte Einsparpotenziale ermitteln und heben
In fast allen Unternehmen, auch den gut organisierten, gibt es versteckte Ineffizienzen. Materialverschwendung und eine zeitfressende Arbeitsorganisation sind Kostenfallen, die man meist erst auf den zweiten Blick erkennt. „Unternehmen, die regelmäßig mit System ihre Organisation nach Einsparpotenzialen durchforsten, schaffen oft jährliche Effizienzgewinne von 5 und 10 Prozent“, betont die Managementberaterin sowie Lean-und KVP-Expertin Dr. Daniela Kudernatsch, München. Dieses „Streben nach Excellence“ ist ihres Erachtens eine Pflichtübung für jedes Unternehmen, das den steigenden Kosten mit Einsparungen an anderer Stelle begegnen möchte.
Braucht es dazu teure Unternehmensberater? Nicht immer! Für Klein- und Mittelunternehmen gibt es hierfür auch Software. Das entsprechende Software-Programm von Innolytics enthält zum Beispiel, wie CEO Meyer erklärt, sogenannte Effizienzaudits, also geleitete Fragebögen, die die Beschäftigten ausfüllen. Die Software ermittelt dann, wo Einsparpotenziale bestehen. Und der Clou: Mit einem Wertrechner lässt sich schnell und einfach ermitteln, wieviel Einsparungen die geplanten Maßnahmen bringen.
Georg Kraus, Inhaber der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, geht noch einen Schritt weiter. Er empfiehlt Top-Managern zuweilen, einfach so mal, bereichsübergreifend die Budgets um 5 oder 10 Prozent zu kürzen, denn: „Organisationen setzen wie Menschen Speck an, wenn man nichts dagegen tut.“ Durch die scheinbar willkürlichen Budgetkürzungen werden die Bereiche genötigt, über smartere Problemlösungen nachzudenken. Ist mit der Zielerreichung eine Prämie verknüpft, werden die vorgegebenen Einsparungen meist auch erreicht. Und erweisen sich die Kürzungen als übertrieben? „Dann können ja immer noch höhere Budgets freigegeben werden.“
Strategie 4: Stärkere unternehmensübergreifende Kooperation und Vernetzung
Nicht selten steht Selbstständigen und Unternehmen auch das Streben nach Autonomie im Wege, wenn es darum geht, smartere Problemlösungen zu entwickeln und Zeit und Geld zu sparen. Der Vertriebsberater Peter Schreiber fragt sich zum Beispiel oft: Muss jedes Klein- und Mittelunternehmen seinen eigenen Adresspool aufbauen? Wäre es nicht sinnvoller zu entscheiden: Wir bauen mit anderen Unternehmen, die dieselben Zielkunden haben, ihnen aber andere Leistungen anbieten, den für eine effektive Marktbearbeitung nötigen Adresspool auf – und bieten ihnen eventuell sogar gemeinsam Leistungspakete an.“ Mit Hilfe der modernen Kommunikations- und Informationstechnik wäre das kein Problem.
In diesem Bereich bewegt sich, so sein Eindruck, zurzeit vieles, denn: Die heutigen Unternehmensgründer und nachrückenden Top-Manager sind viel offener für solche unternehmensübergreifenden Kooperationen als ihre Vorgänger. Bei deren Anbahnung könnten, so seine Überzeugung, auch Organisationen wie die IHKen und Industrieverbände eine aktivere Rolle spielen.
Die Digitalisierung hilft Unternehmen, marktfähig zu bleiben
Lange Zeit galt die Digitalisierung primär als Job-Killer. Das ändert sich allmählich. Immer stärker verankert sich nicht nur in den Köpfen der Top-Entscheider: Die Digitalisierung hilft Unternehmen in sich rasch und radikal verändernden Märkten wettbewerbsfähig zu bleiben. Dieser Umdenkprozess, so Meyer, „ist in vollem Gang – auch weil in die Top-Entscheider-Positionen immer mehr ‚Digital Natives‘ rücken, die ein anderes Verhältnis zur Digitaltechnik haben“.
Und die Unternehmen, die diesen Changeprozess durchlaufen haben? Sie sind oft erstaunt, wie viel besser sie danach im Markt aufgestellt sind. Denn eines sollte man laut Peter Schreiber nie vergessen: In Krisenzeiten strukturiert sich der Markt neu. Also erwachsen hieraus auch neue Chancen, und diese gilt es zu nutzen.
Der Autor Ramon Lacher ist freier Journalist.