Der Bankenriese führte seinen ersten DeFi Live-Handel auf der Blockchain Polygon und einer Fork (d.h. eine modifizierte Version) des Aave Protokolls durch. Dies ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert.
Einerseits ist damit Legacy Banking in der Welt der Decentralized Finance (DeFi) angekommen. Die Kryptoszene beobachtet diesen Vorgang nicht mit einhelliger Freude, weil eine Konsequenz davon auch sein könnte, dass Regulierung und Transparenzkriterien von Legacy-Banking schleichend in DeFi einziehen, das bisher ohne Zugangskriterien auskommt. Finanzierung ohne Eintrittshürde wird als ein besonderer Vorzug von DeFi gesehen. Gleichzeitig war der Weg von Legacy Banking in Richtung DeFi nur eine Frage der Zeit.
Andererseits ist der Weg zur Institutionalisierung von DeFi im Bankenumfeld sicherlich noch ein langer – aber er wird beschritten werden, so wie es aussieht. Für die Adoption von DeFi durch Legacy Banken stellen sich noch eine ganze Reihe von Fragen und Entwicklungsaufgaben, bevor DeFi in diesem Umfeld systematisch abgewickelt werden kann.
1. Rechtliche Klärung
Die Transparenz- und Bonitätsauflagen von Banken stellen nur eine von mehreren rechtlichen Rahmenbedingungen und Hürden dar, die es zu lösen gilt. Bei der vorliegenden Transaktion wurde der Mechanismus der sogenannten Verifiable Credentials (VCs) verwendet. VCs sind überprüfbare Berechtigungsnachweise, mit denen die Informationen, die zur Einhaltung der Auflagen erforderlich sind, an Dritte übermittelt werden können, ohne sensible Daten preiszugeben. Kurz: Ein Mittler stellt die Compliance fest und teilt dem Auftraggeber mit, dass die Vorschriften eingehalten wurden – etwa vergleichbar mit der Funktion eines Notars. An dieser Stelle sei ein Kommentar mit Augenzwinkern erlaubt: Das müssen wohl diese Mittler sein, die im Kryptoumfeld angeblich wegfallen ^^
2. Technische Entwicklung
Diese erste Transaktion wurde “händisch” durchgeführt, was im regulären Bankenbetrieb vielleicht nicht als effizient einzustufen wäre. Während seitens JP Morgan die Effizienzgewinne anerkannt werden, die aus einer Automatisierung über Smart Contracts entstehen, so fehlen für die Umsetzung im regulären Bankenbetrieb auch technisch wohl noch einige Schritte. Für eine technisch sichere Abwicklung und Interoperabilität wird es wohl Schnittstellen brauchen, und zwar zwischen den Legacy-Systemen der Banken und den Ledgers der verschiedenen Blockchains, die direkt angesprochen werden müssten. Eine Anforderung, die aber jedenfalls umsetzbar erscheint.
Warum Polygon und eine Aave Fork?
Polygon (gelistet als $MATIC) und das adaptierte Aave Protokoll wurden gewählt, weil die FX Raten manuell gesetzt werden mussten. Details zum abgewickelten Fall finden sie hier. Gegen Ethereum sprachen dem Vernehmen nach auch die Fees. Tyrone Lobban, der Head of Blockchain Launch bei JP Morgan, votierte dafür, Ethereum zu verwenden – schließlich wurde es aber dann doch die Polygon/Aave Kombination. Noch im Jänner 2022 sagten JP Morgan Analysten, Ethereum könnte seine Vormachtstellung bei DeFi verlieren. Vielleicht ist der Vorgang deshalb auch als Hinweis in Richtung Ethereum und seiner Policies zu verstehen.
Hintergrundwissen zu Polygon und Aave für Interessierte:
Polygon setzt auf Ethereum auf und gilt als leichtgewichtige Blockchain, die deshalb höheren Sicherheitsrisiken ausgesetzt sein könnte als Ethereum. Insofern ist die aktuelle Wahl mit Polygon bemerkenswert, weil gerade im Bankenumfeld ein Höchstmaß an Sicherheit zu den Basisanforderungen gehört. Andererseits handelte es sich um einen ersten Vorgang, und weitere Entwicklungen sind schwer abschätzbar. Wir werden weiter berichten.
Aave: Ein eher kleinerer Wert, der auf DeFi spezialisiert ist. Nutzer können auf Aave Kredite vergeben oder annehmen und dafür Zinsen erhalten bzw. zahlen. Für die Abwicklung dieser Ausleihe werden Smart Contracts verwendet. Der Haupt-Investor in Aave war 2019 übrigens IBM. Zu den weiteren Investoren gehörte auch Samsung.
Während der Kurs von Polygon in den letzten 24 Stunden um 12% und der von Aave um 3,3% anstieg, fiel der Kurs von Ethereum kurzfristig von € 1.630 auf € 1.530, hat sich binnen weniger Stunden aber auf ein Tages-Minus von nur 1% erholt (Stand 3.11.2022, 10:30 Uhr).
Wissenswertes Detail zu den Blockchain-Aktivitäten von JP Morgan
JP Morgan (JPM) hatte übrigens auch ein eigenes Open Source Protokoll “Quorum” aufgebaut, mit dem Ethereum-basierte Enterprise-Solutions aufgebaut werden können. 2020 verkaufe JPM dieses Protokoll an CondenSys, in das es über eine Mitgliedschaft weiter investiert ist. ConsenSys war maßgeblich beteiligt an der Gründung der Enterprise Ethereum Alliance (EEA), einer globalen Standardisierungsorganisation für Geschäftsanwendungen der Ethereum-Technologie. Die EEA hat mittlerweile über 500 Mitglieder, darunter Accenture, Deloitte, Ernst & Young, Intel, JPMorgan, Microsoft, Pfizer, Kanzleien wie Schulte Roth & Zabel LLP und Telekom Anbieter wie T-Mobile. Mit dem Brooklyn-Projekt oder Projekten wie der EU-Blockchain-Beobachtungsstelle (im Original: EU Blockchain Observatory) und dem EU-Blockchain-Forum treibt das CondenSys Konsortium Forschung und Regulierung in den USA und Europa.