Die Immobilienbranche musste sich in den letzten beiden Jahren an neue Gegebenheiten anpassen und auch die Ansprüche an Wohn-, Gewerbe- und Bürogebäude haben sich durch Lockdowns und Homeoffice verändert. Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich die wirtschaftliche Situation weiter verschärft. xBN-Chefredakteur Christof Baumgartner hat mit Dr. Matthias Gass, Unternehmer und Präsident der FIABCI Austria, über die aktuelle Lage der heimischen Immobilienbranche gesprochen.
Herr Dr. Gass, die Immobilienbranche ist derzeit hauptsächlich aufgrund steigender Preise in den Medien. Abgesehen davon, wie schätzen Sie den Status quo der heimischen Immobilienbranche ein und wie wirken sich die derzeitigen Krisen aus?
Krisenzeiten sind auch Innovationszeiten und Immobilien sind auch in Krisenzeiten ein gesuchter und sicherer Hafen. Meiner Ansicht nach werden wir die Krisenauswirkungen aber schon spüren. Es gibt viele Investoren, die ihre Bauprojekte aufschieben, hintanstellen oder auch absagen. Da gibt es aktuell ein zu großes Risiko, wie etwa dass die Baubranche ihre Preise nicht halten kann. Da spielen aber externe Faktoren wie Lieferketten eine Rolle.
Ein wichtiger Faktor ist hier das Energiethema. Wir wissen alle, dass das Gas knapp wird und die hohe Abhängigkeit vom Gas ist derzeit ein veritabler Faktor für die Gefährdung der Wirtschaft. Es geht hier nicht nur darum, Energie zu beschaffen, sondern sie auch möglichst effizient einzusetzen. Dazu braucht es ein umfassendes und durchdachtes Vorgehen und das fehlt meiner Meinung nach. Über 900.000 Haushalte in Österreich heizen heute mit russischem Gas und wie die Situation im nächsten Winter aussehen wird ist eine der großen Fragen, die wir uns heute stellen müssen.
Was kann die Branche tun, um hier Lösungsansätze zu finden?
Es fehlt wie gesagt ein Gesamtkonzept. Die Immobilienbranche umfasst ebenso wie die Digitalisierungsbranche alle Lebensbereiche, vom Wohnen über die öffentlichen Transportmittel bis hin zum Arbeitsplatz und die Freizeitgestaltung. Daher braucht es in den Maßnahmen einen sehr hohen Koordinierungsaufwand. Gleichzeitig ist es völlig undenkbar in so kurzer Zeit eine derart tiefgreifende Systemtransformation zu bewerkstelligen. Es ist das Material nicht vorhanden, die Netzinfrastruktur fehlt und auch Fachkräfte fehlen an allen Ecken und Enden. Jeder, der behauptet, man kann von heute auf morgen das Gas abdrehen und die Player werden sich schon schnell genug umstellen, ist ein Scharlatan. Das wird nicht passieren. Da wird es eine Verwerfung geben, die wir in unserer Zeit noch nicht erlebt haben.
Dazu kommt die Besonderheit des österreichischen Immobilienmarktes, der sehr zersplittert ist und in dem auch viele politische Player agieren. So ist etwa die Stadt Wien Europas größter Grundstückseigentümer. Das ist durchaus eine Sonderkonstellation und man könnte vielleicht erwarten, dass es daher weniger Druck auf private Investoren gibt. Das ist aber nicht der Fall. Auch der kleine private Immobilienmarkt ist vor politischen Attacken nicht gefeit. Es gibt keine Lobby, die für die Immobilienbranche wirbt, sondern man wird durchwegs mit einer investitionsfeindlichen Gesetzgebung konfrontiert. Es gab auch schon Verbesserungen wie etwa den Richtwertmietzins. Und immer, wenn es Verbesserungen gegeben hat, dann hat es auch große Investitionsschübe gegeben.
Wo liegen hier die größten Kritikpunkte?
Wenn der Staat in den Immobilienmarkt eingreift, tut er das meistens als Investor bzw. mit umfangreichen Förderprogrammen. Aber er tut wenig, um Investoren durch Liberalismus Gewinnanreize zu setzen. Das kritisieren wir in der Immobilienbranche. Ein wenig mehr Freiheit würde der Innovationskraft guttun. Aber das alles verhindert das sehr engmaschige rechtliche Korsett.
Wenn man etwa in Zeiten, in denen das Thema Nachhaltigkeit großgeschrieben wird, anstatt eines gesetzlich regulierten Mietzinses einen freien Mietzins verlangen dürfte, wenn man als Investor in die Dekarbonisierung investiert, dann gebe das einen größeren Anreiz als die nächste Fördermilliarde, die mit der Gießkanne über möglichst viele ausgegossen wird. Am Ende bleibt Geld immer die knappste Ressource. Es braucht den cleversten Umsetzer, der mit der Möglichkeit, etwas zu verbessern, den besten Output erreicht – und das können Förderungen nicht bewerkstelligen.
Bleiben wir beim Thema Nachhaltigkeit. Welche Rolle es in der derzeitig angespannten wirtschaftlichen Situation?
Hier hat sich die Perspektive etwas geändert, denn Nachhaltigkeit wird heute anders wahrgenommen als es noch vor dem 24 Februar der Fall war. Wir haben jetzt wieder mit den Grundbedürfnissen zu kämpfen und das Thema Klima spielt eine untergeordnete Rolle. Das Thema ist noch stark mit Wohlstand verknüpft. Wenn ich beim Wohlstand etwas abschneide, dann kann ich beim Klima etwas tun. Derzeit wird uns der Wohlstand aber von ganz anderen Seiten beschnitten.
Europa war bei Nachhaltigkeit immer Vorreiter, aber das war aus einer wirtschaftlichen starken Position heraus. Wir konnten es uns sozusagen leisten, gute Klimapolitik zu machen. Wenn man jetzt wirtschaftliche Einbußen in Kauf nehmen muss, dann wirkt sich das auch auf Klimapolitik aus. Kürzlich wurde angekündigt, Kohlekraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen. Ich denke, wir werden noch viele dieser Maßnahmen sehen, von denen wir eigentlich gehofft haben, dass sie nicht mehr notwendig sein werden.
Sie haben vorhin die Immobilienbranche mit der Digitalisierungsbranche verglichen. Wie digital ist ihre Branche?
In der digitalen Transformation ist die Immobilienbranche sicherlich kein Vorreiter. Ein Immobilieninvestor, der langfristig denkt kann es sich nicht leisten einem Hype zu folgen, der die Immobilie nicht langfristig verbessert oder hochwertiger macht oder vielleicht sogar sein Investment an sich gefährdet. Das heißt die Branche ist sehr zögerlich, wenn es darum geht neue Produkte einzusetzen. Es gibt ein großes Abwarten, ob etwas auch wirklich funktioniert oder ob es sich nur um einen Hype handelt. Daher gibt es sicherlich viele Dinge, die von den Potenzialen her unausgeschöpft sind. Gerade im großvolumigen Bau kann man mit digitalen Produkten spannende Sachen machen, die die Lebensqualität, die Wohnqualität, die Haltbarkeit oder den Lebenszyklus verlängern können. Bei derartigen Investitionen braucht es aber Mut.
Das ist ein wenig das Dilemma bei der Digitalisierung in der Immobilienbranche, weil man eher abwartend ist. Dafür ist man aber auch unabhängiger von Krisen. Wenn ich heute ein Projekt entwickle, das in 10 Jahren gebaut wird, dann stören mich die heutigen Krisen nur bedingt. Aber es würde mich auch stören, wenn wir in 10 Jahren bereits die Marslandung bewerkstelligen konnten und dabei aber auf Innovationen in der Immobilienbrachen vergessen haben.
Dazu kann ich als Präsident der FIABCI Austria aber hinzufügen: Wir versuchen Projekte zu fördern, die den Mut haben, neue Dinge auszuprobieren. Und da kommen immer wieder ganz überraschende Dinge zutage, die eine hohe Wirkung haben und wirklich nachhaltig sind. Immobilien werden also bei der Digitalisierung eine große Rolle spielen. Auch in einer Welt, in der Metaverse und Virtual Real Estate als Buzzwords dienen, wird es immer noch den Rückzugsort und die Immobile brauchen. Wenn die virtuellen Welten auf dem Vormarsch sind, muss das, was die reale Welt bietet vielleicht noch besser, noch hochwertiger sein, um mit der virtuellen Welt konkurrieren zu können.
Stichwort FIABCI: Zwei heimische Immobilienprojekte wurden kürzlich in Paris mit dem FIABCI World Prix d’Excellence in Silber ausgezeichnet. Wie hoch ist das einzuschätzen?
Das ist natürlich sehr erfreulich, dass die Projekte von BUWOG und Value One ausgezeichnet worden sind. Österreich hat als einziges europäisches Land zwei Preise gewonnen. Es zeigt uns, dass wir als kleines Land auch große Vorteile haben. Kleinere Länder haben eine höhere Agilität und eine größere Anpassungsfähigkeit. Wie schon gesagt, ist es ist ein ganz großes Ziel der FIABCI, Innovationen sichtbar zu machen und zu zeigen, wie die Zukunft der Immobilienbranche aussehen könnte. Der österreichische Prix d’Excellence wird heuer wieder abgehalten und es ist noch bis Ende Juni möglich Projekte einzureichen.