Die Zahl der Beschäftigten in Österreichs Hotellerie fiel zwischen 2019 und 2021 pandemiebedingt von 96.000 auf 79.000: „Das stellt Arbeitgeber wie Arbeitnehmern vor immense Herausforderungen“, verweist Walter Veit, Präsident der Österreichischen Hoteliervereinigung, auf eine aktuelle repräsentative Branchenbefragung der ÖHV: 33% reduzieren das Angebot, 23% lagern Prozesse aus, 19% schließen Teile des Betriebs, 18% überdenken das Geschäftsmodell.
Die immergleichen falschen Schlüsse – das Fehlen von Mitarbeiter auf Arbeitszeiten und Gehälter zurückzuführen – weist Veit zurück: „Zurück in die Mottenkiste mit den Uralt-Klischees! Es fehlen überall Bewerber, in IT und Industrie, in Schulen und Büros, ganz unabhängig von den Arbeitsumständen. Das ist ein branchenunabhängiges weltweites Phänomen.“ Dass Beschäftigte in gastgewerblichen Berufen durch Covid-bedingte Lockdowns zusätzlich strapaziert wurden, stehe außer Frage. In der Ukraine-Krieg, den steigenden Energiekosten und den Folgen der Pandemie sieht Veit Jahrhundert-Herausforderungen: „Wir stellen uns dafür auf. Und wir brauchen die Politik, um die Rahmenbedingungen nachzuschärfen.“ Als wichtige Maßnahme gegen den internationalen Megatrend „Mitarbeiter-Mangel“ sieht Veit die kürzlich von Arbeitsminister Martin Kocher präsentierte Novelle der Rot-Weiß-Rot-Karte.
Arbeitsminister Martin Kocher präsentierte in seinem Vortrag zahlreiche Eckpunkte der österreichischen Arbeitsmarktpolitik. Ein entscheidender Hebel zur Überwindung der Krise vor allem auf dem Tourismussektor sei, neben der Kurzarbeit, auch die Erhöhung der Saisonierskontingente gewesen, als viele Länder in Europa gleichzeitig die pandemiebedingten Einschränkungen zurücknahmen und fast gleichzeitig geöffnet wurde. Die Regierung habe den zunehmenden Mitarbeiterbedarf bei gleichzeitig niedriger und sinkender Arbeitslosigkeit als entscheidenden Faktor erkannt und als eine der ersten Maßnahmen nach Abflauen des ständigen Corona-Krisenmodus eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte vorgelegt. Hier hob Kocher die Beschleunigung der Verfahren durch parallele Verfahrensschritte und Erleichterungen für den dauerhaften Zuzug für Stammsaisoniers hervor. Als weitere Herausforderung nannte Kocher die Steigerung der regionalen Arbeitsmobilität. Gleichzeitig forderte er arbeitgeberseitig Initiative ein, um das Arbeitskräftepotenzial vor allem im Inland besser zu heben.
Arbeitgeber legen sich ins Zeug
Die Hotellerie reagiert bereits: Laut ÖHV-Befragung investieren 2/3 der Betriebe in Employer Branding und Mitarbeiterbindung, 60% optimieren interne Prozesse, um Mitarbeiter zu entlasten. 56% erhöhen die Ausgaben für Weiterbildung: „Wir machen unsere Hausaufgaben.“ Die Top-Hotellerie bezahlt Hilfskräfte um 20% über Kollektivvertragsniveau, Fachkräfte um 30%, Führungskräfte um 40%: „Da sind wir weit weg von Lohndumping und zeigen gleichzeitig: Aus- und Weiterbildung lohnt sich.“
WIFO-Zahlen bestätigen: Dringender Reformbedarf bei Abgaben auf Arbeit
Diese höheren Gehälter kommen die mitarbeiterintensive Branche doppelt teuer, verweist Veit auf eine aktuelle Analyse der österreichischen Steuern und Abgaben auf Arbeit, die Dr. Margit Schratzenstaller, Senior Economist am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung, am ÖHV-Kongress präsentierte. Österreich weist laut diesem aktuellen EU-weiten Vergleich eine extrem hohe Steuer- und Abgabenlast auf Arbeit auf. Von der überdurchschnittlichen Gesamtabgabenquote von 42,5% (der EU-Durchschnitt liegt bei 36,4%) finanziert Österreich einen besonders hohen Anteil durch Steuern und Abgaben auf Arbeit: Die WIFO-Analyse beziffert die durchschnittliche effektive Abgabenlast auf Arbeitseinkommen mit 41,7%. Das ist der zweithöchste Wert in der EU, deutlich über dem Durchschnitt der EU28 von 34,2%. „Das österreichische Abgabensystem ist zu wenig für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet. Umweltsteuern haben ein unterdurchschnittliches und sinkendes Gewicht, die Abgabenlast auf Arbeit ist arbeitnehmer- wie arbeitgeberseitig hoch und teilweise steigend, auch im besonders sensiblen unteren Einkommensbereich. Das dämpft das Arbeitsangebot von Frauen, beinhaltet eine ‚Teilzeitfalle‘, sowie die Motivation Geringqualifizierter allgemein und die Arbeitsnachfrage in Summe“, so Schratzenstaller.
Schratzenstaller: Abgabensystem fundamental umstrukturieren
Für arbeitsintensive Dienstleistungssektoren wie Tourismus und Hotellerie sieht sie darin eine besondere Herausforderung. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sei in Europa eine begrenzte Zahl größerer Reformen zur Senkung der Lohnnebenkosten umgesetzt worden. Evaluierungen zeigen, dass gezielte Lohnnebenkostensenkungen für bestimmte Gruppen am Arbeitsmarkt (Ältere, Geringqualifizierte, Frauen) effektiver und effizienter sind als allgemeine Reduktion. Vor allem kurzfristig hätten Lohnnebenkostensenkungen positive Effekte auf Beschäftigung und BIP, so die Arbeitsmarktexpertin: „Sie eignen sich daher besonders als Instrumente zur Krisenbewältigung.“ Aktuell solle versucht werden, Entlastungsnotwendigkeiten angesichts der hohen Inflation mit einer strukturell sinnvollen und nachhaltigen allgemeinen Lohnnebenkostensenkung zu verbinden. Einnahmenausfälle aus dem Budget sollten kompensiert werden. Kandidaten wären aus ihrer Sicht etwa der Beitrag zum Familienlastenausgleichsfonds oder zur Wohnbauförderung. Längerfristig sei eine fundamentale Umstrukturierung des Abgabensystems vor dem Hintergrund von Digitalisierung, Automatisierung, Demographie und Klimakrise notwendig.
Können Erfolgsgeschichte nur mit Mitarbeiter und Kostensenkung fortschreiben
Die Erfolgsgeschichte des Tourismus habe Wohlstand in weite Teile des Landes gebracht: „Nächtigungen sind unser schwarzes Gold. Aus armen Bergbauernregionen sind wohlhabende Regionen geworden. Um dieses schwarze Gold zu fördern, brauchen wir Tourismus-Ingenieure und Hilfskräfte im großen Stil. Ohne sie droht ein Rückfall in finstere Zeiten. Dann gehen in den ländlichen Regionen das Licht aus“, warnt Veit davor, die Bedeutung des Tourismus für die ländlichen Regionen und den Standort zu unterschätzen: „Das WIFO hat richtigerweise im Tourismus den Rettungsanker für die österreichische Konjunktur erkannt. Daran hängen Steuereinnahmen, Sozialversicherungsbeiträge und Arbeitsplätze im großen Stil. Es geht um alles“, fordert Veit rasch eine spürbare Senkung der Lohnnebenkosten, um die großen Herausforderungen der Zeit bewältigen zu können: die immer noch massiven Auswirkungen von Corona, die Folgen von Ukraine-Krise und Energiekostenanstieg und den demografie- und wirtschaftswandelbedingten Mitarbeiter-Engpass.
Erste große Befragung von Schülern zu Praktika im Tourismus
Ebenfalls präsentiert wurde am ÖHV-Kongress die erste große Befragung von Tourismus-Schüler zu Praktika im Rahmen ihrer Ausbildung. Teilgenommen haben 1.474 Schüler an 14 Tourismusschulen, die im vergangenen Sommer ein Praktikum absolviert haben. „Wir wollen besser werden. Dafür müssen wir wissen, wo es Verbesserungsbedarf gibt. Jetzt haben wir ein sehr klares Bild der Lage“, sehen ÖHV-Generalsekretär Dr. Markus Gratzer und Mag. Jürgen Kürner, Sprecher der Direktoren der österreichischen Schulen für Tourismus, in den aussagekräftigen Ergebnissen eine gute Basis für nachhaltige Verbesserungen. Die Lehrer bekamen von den Schüler eine 2 für das Erstellen von Listen mit Praktikumsbetrieben, für die Vorbereitung auf das Praktikum eine 2,25 und eine 2,27 für die Unterstützung bei Problemen im Praktikum. Luft nach oben gibt es bei der 3,83 für Besuche während des Praktikums. Bei den Praktikumsbetrieben – die durch die Bank gut bewertet wurden – orten die Schüler Verbesserungspotenzial bei der Vermittlung der Lerninhalte (sie wollen mehr lernen), bei der Beteiligung am Trinkgeld und beim Stresspegel: „Das lässt sich lösen“, sind Gratzer und Kürner überzeugt. Ein von ÖHV und Tourismusschulen erarbeiteter Online-Leitfaden soll Betriebe aufklären, eine Info-Broschüre, an deren Erstellung sich die Gewerkschaft vida beteiligt, die Schüler informieren, die Kooperation zwischen ÖHV und Tourismusschulen über mehrere Jahre fortgeführt werden. „Wir nehmen das ernst. Wir wollen in allen Belangen besser werden“, hält Veit fest.
ÖHV-Kongress mit 700 Teilnehmer sorgt für Arbeit
Beim ÖHV-Kongress von 02. bis 04. Mai in der Wiener Hofburg – der erste große Kongress in der Bundeshauptstadt nach dem zweiten Corona-Winter – sorgt mit Vorträgen von Arbeitsminister Dr. Martin Kocher, WIFO-Arbeitsmarktexpertin Margit Schratzenstaller, Philosoph Richard David Precht, der Vizepräsidentin Fernstudium und Digitalisierung der Hochschule Göttingen, Antje-Britta Mörstedt, whatchado-CEO Jubin Honarfar, Rolling Pin-Chefredakteur Jürgen Pichler, AMS-Salzburg-GF Jaqueline Beyer, Bestseller-Autor Benedikt Ahlfeld, Körpersprache-Experte Stefan Verra zum Kongress-Thema „Lebensläufe. Arbeitswelten neu denken“ mit 700 Teilnehmer für volle Säle im Kongresszentrum, volle Betten in der Hotellerie und sichert so Arbeitsplätze im Tourismus sowie in vor- und nachgelagerten Branchen von Wäschereien über Taxis bis hin zu Bäckereien und Veranstaltungstechniker.