Corporate Wellness: VOI schlägt ROI

Gesundheitsprogramme und Wellness-Programme für die Mitarbeitenden hebt die Attraktivität als Arbeitgeber
Employer Branding mit Corporate Wellness ©unsplash dylan gillis

Die Belegschaft ist das wertvolle Humankapital eines Unternehmens. Krise hin oder her: Speziell den jüngeren Generationen muss man einiges bieten, z.B. Gesundheitsprogramme, will man die Arbeitskräfte langfristig binden und die Arbeitgeberattraktivität erhöhen.

Macht ein Unternehmen es der Belegschaft leicht, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren und dann zu duschen? Wird psychisches Wohlergehen gefördert? Gibt es Schulungen für gesunde Ernährung? Dies sind nur einige Ansatzpunkte, um Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Rentabilität zu stärken, um Sicherheitsvorfälle, Fehlzeiten und Fluktuation zu senken. Experten geben bei der Einführung von Gesundheitsprogrammen der Betrachtung nach dem VOI (Value on Investment) den Vorzug vor dem bekannteren ROI (Return on Investment).

Es ist wichtig, dass Unternehmerinnen und Unternehmer den Wert von Gesundheitsprogrammen für die Belegschaft erkennen. Man müsse die „gesunde Wahl zur leichten Wahl machen”, betonte Dame Sally Davies vor kurzem in einem Interview für das McKinsey Health Institute (MHI). Die britische Gesundheitsexpertin sagt, dass nicht nur die Einzelpersonen für ihre gute Gesundheit verantwortlich seien, sondern auch Regierungen – und Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.

Letztere verkennen vielfach noch die Bedeutung von Corporate Wellness und Incentives in diesem Bereich. Wenn ein Firmenchef sagt, „die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leben ohnehin alle so ungesund – wie komme ich denn dazu, ihnen auch noch Fitness-Angebote zu finanzieren”, dann hat er vor allem eines nicht erkannt: Handfeste Kennzahlen sprechen für die Einführung derartiger Initiativen. Krankenstände sinken, Zufriedenheit und Motivation steigen, … All dies sorgt für eine höhere Leistungsbereitschaft und -fähigkeit – selbst wenn dies das (durchschaubare, aber doch legitime) Ziel der Geschäftsleitung ist.

Übergewicht: Schlecht für das Gehirn

Beispielsweise ist es quasi „amtlich”, dass Übergewicht schlecht für das Gehirn ist. Dies hatten Forscher schon länger vermutet. Nun belegt eine im Journal Neurology der American Academy of Neurology (AAN) (https://www.aan.com/PressRoom/Home/PressRelease/1098) veröffentlichte Studie das Risiko für Störungen des Gehirns bei Fettleibigkeit. Bislang hielt man Begleitkrankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes für verantwortlich. Jedoch: Dies gilt auch für Dicke, die ansonsten gesund sind, so die Forscher.

Im Grunde gibt es keine „gesunde Fettleibigkeit”, werden Experten wie Günther Deuschl, Leiter der Klinik für Neurologie an der Uniklinik Kiel, in Medien zitiert. Zwei Faktoren gelten als wahrscheinlich für den Zusammenhang zwischen Übergewicht und kognitiven Störungen: einerseits könnten „Fettablagerungen in den Gefäßen zu gefäßabhängigen Störungen führen”, andererseits könnte es sein, dass „das Fettgewebe Hormone aussendet, die das Gehirn beeinflussen“.

Egal, was genau es ist – Unternehmen tun gut daran, ein Auge auf die Gesundheit ihres sogenannten Humankapitals zu werfen und Gesundheitsprogramme einzuführen. Eine Erkenntnis der Corona-Pandemie sei laut Dame Sally Davies unzweifelhaft, dass diejenigen, die von Anbeginn mit einer chronischen Erkrankung konfrontiert waren, schlechtere Chancen hatten, gesund zu bleiben. Eine der Folgen: Höhere Ausfallraten im Job.

„Verstehen lernen, was Gesundheit wirklich ist”

Auch den „sozialen Kräften” müsse man mehr Beachtung schenken: biologischen und sozialen Faktoren, aber auch wirtschaftlichen. Zu ihnen zählen etwa Benachteiligungen wie beengte Wohnverhältnisse oder Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem.

Dame Sally Davies gründete im Jahr 2006 das National Institute of Health Research (NIHR) und 2013 die Genomics England Ltd. (GEL), ein Unternehmen das 100.000 komplette Genomsequenzen von britischen Patientinnen und Patienten erstellte. Als Rektorin des Trinity College Cambridge war sie zudem leitende medizinische Beraterin der britischen Regierung von 2011 bis 2019.

Langfristigere ROI-Betrachtung ist nötig

Es gehe darum, gut zu leben. Die Gesellschaft insgesamt sollte Maßnahmen ergreifen, um den Menschen die Entscheidung für Gesundheit zu erleichtern, damit das Individuum Diabetes, Bluthochdruck, Herzkrankheiten oder andere chronische Krankheiten vermeiden könne. Eine solche Maßnahme auf nationaler Ebene stellt etwa eine Zuckersteuer auf Erfrischungsgetränke dar, wie sie im Vereinigten Königreich eingeführt wurde. Als Ergebnis verkauften die Unternehmen nach zwei Jahren zehn Prozent mehr Getränke. Aber die Menge an Zucker und Kalorien, die der Bevölkerung erspart blieb, war enorm.

Vor allem aber müsse man über den Return on Investment (ROI, Anm.: Investitionsrendite) für die Menschen in zehn und 20 Jahren nachdenken, nicht nur in drei oder fünf Jahren. Davies: „Führungspersönlichkeiten, lokale und nationale Entscheidungsträger, müssen verstehen, was Gesundheit wirklich ist.”

Learnings aus der Pandemie

Dame Sally Davies ist überzeugt: „Die Unternehmen haben durch die Pandemie gelernt, wie eine Gesundheitskrise ihre Wirtschaftsleistung beeinträchtigt. Sie erkennen nun vielleicht, dass es in ihrem Interesse liegt, die Gesundheit ihrer Belegschaft und ihrer lokalen Gemeinschaften zu fördern.”

In ihrem gemeinsamen Buch mit Johnny Pearson-Stuttard, „Whose Health Is It, Anyway?” postuliert sie eine ganzheitliche Gesundheit, die körperliche, geistige, soziale einschließlich spiritueller Gesundheit meint. Diese umfasse unter anderem ausreichend Grünflächen, aktive Fortbewegung und Ähnliches. Dem stehe das vielfach vorherrschende Denken von Gesundheit im Sinne von Krankheitsleistungen gegenüber.

Gesundheitsprogramme messbar machen, damit gehandelt wird

Wenn etwas messbar sei, würde auch gehandelt. Das britische Office for National Statistics (ONS) betreibt aktuell in einer Betaphase einen Gesundheitsindex, der die Analyse nach Regionen und im Zeitverlauf ermögliche. Dies wiederum erlaube es, Vorschriften zu erlassen, wenn Unternehmen es verabsäumen, die gesunde Wahl zur einfachen Wahl zu machen.

Geschäftsleitende sind am ehesten mit handfesten Zahlen zu motivieren, Wellness- und Fitness-Programme für die Belegschaft einzuführen
Geschäftsleitende sind am ehesten mit handfesten Zahlen zu motivieren, Gesundheitsprogramme für die Belegschaft einzuführen © unsplash Blocks Fletcher

Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer kann man am besten mit handfesten Zahlen überzeugen, mit Rendite. Rentieren sich finanzielle und personelle Investitionen in Wellness-Programme für die Mitarbeitenden? Wer sich an der kaufmännischen Sorgfalt orientiert, möchte, wie bei anderen Geschäftentscheidungen auch, Bewertungsmethoden heranziehen: Return on Investment (ROI) und Value on Investment (VOI) bieten sich auch für diese Art von Investition an.

Gewinn geht über geringere Gesundheitskosten hinaus

Bei der Messung der Kapitalrendite wird davon ausgegangen, dass sich die Investitionen eines Unternehmens in die Gesundheit seiner Mitarbeitenden in erster Linie durch die künftigen geringeren Gesundheitskosten rechtfertigen lassen. Insbesondere Unternehmen, die sich auf die Eindämmung von Kosten konzentrieren, greifen auf diese Betrachtung zurück. Der Nutzen von Gesundheitsprogrammen geht aber über diese Senkungen hinaus.

Um den Wert eines Programms genau zu messen, müssen die Messgrößen auf dem Motiv für dessen Einführung basieren. Initiativen zur Stressreduktion, zur Förderung der Achtsamkeit führen möglicherweise nicht unmittelbar zu finanziellen Vorteilen. Beim Thema Gesundheit kommen jedoch wesentlich mehr Verbesserungsmaßstäbe ins Spiel.

Unterschiede zwischen ROI und VOI

Zudem, so einige Experten, spiegle der ROI die Kosten nicht immer genau wider. Zu dessen Berechnung muss der finanzielle Nutzen des Programms geschätzt und mit den Kosten des Programms verglichen werden. Indirekte Kosten wie Produktivitätsverluste aufgrund von Fehlzeiten oder Präsentismus (Anm.: jemand befindet sich zwar am Arbeitsplatz, der Einsatz hält sich aber in engen Grenzen) lassen sich nicht immer genau eruieren. Das Integrated Benefits Institute schätzt die Kosten für Unternehmen in den USA durch Produktivitätsentgang allein bei Berufstätigen, die Angehörige pflegen, auf jährlich 530 Milliarden Dollar.

Produktivität lässt sich zwar erfassen, indem man den Geschäftsoutput evaluiert, z.B. getätigte Anrufe, erbrachte Dienstleistungen usw. und durch die Gesamtzahl der Mitarbeiter teilt. In einer Organisation mit vielen Abteilungen sind jedoch nur wenige davon tatsächlich kundenorientiert. Die Geschäftsergebnisse hängen so von einer kleinen Gruppe ab, während andere Abteilungen im Hintergrund am laufenden Betrieb arbeiten, ohne dass sie direkt mit den Produkten in Verbindung gebracht werden. Hinzu kommt, dass die Qualität des Outputs ebenso wichtig ist, wie die Quantität.

Der Value on Investment oder kurz VOI, der Gesamtinvestitionswert, ist ein umfassendes Maß für alle Vorteile, die sich aus Gesundheits- und Wellness-Programmen für Mitarbeiter ergeben. Zu den immateriellen Vorteilen gehören etwa ein höheres Engagement, eine bessere Arbeitsmoral, ein positiveres Arbeitsumfeld. Diese Vorteile lassen sich nur schwer quantifizieren, nicht zu vergessen, die Fähigkeit als Betrieb, Talente anzuziehen und zu binden – Stichwort Employer Branding.

Wellness für Lehrpersonal: Volltreffer

Der Blick nach USA zeigt: Ersatz für einen Mitarbeiter finden und entsprechend schulen schlägt sich mit Kosten zwischen 20 und 213 Prozent seines Jahresgehalts nieder (Angaben des Bureau of Labor Statistics). Jedes Monat kündigen in den USA zwischen drei und 4,5 Millionen Menschen ihre Arbeit (Quelle: Job Openings and Labor Turnover Survey, JOLTS) – zum Vergleich: 2021 waren im Schnitt laufend 152,59 Millionen Personen erwerbstätig.

Die Mitarbeiterbindung steigt, wenn Unternehmen sich daarum bemühen, dass ihre Mitarbeiter gesund sind. Die Verlagerung des Fokus auf die Kennzahl VOI schließt freilich nicht aus, dass Wellness-Programme auch finanziellen Gewinn abwerfen.

Interessant ist auch folgender Zusammenhang, den die öffentlichen Schulen im District Metropolitan in Tennessee zeigten: Nach der Einführung eines Wellness-Programms für die Lehrer erzielten die Schülerinnen und Schüler durchwegs bessere Testergebnisse. Das ist ein Volltreffer, denn der ureigenste Daseinsgrund eines Schulsystems ist ja die gute Ausbildung der Schüler.

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