Eine Studie des IFIDZ zeigt: Außer dem Thema virtuelle Führung gewinnt in den Unternehmen aufgrund der veränderten Arbeitsstrukturen das Thema laterale Führung stark an Bedeutung.
Über das Thema „virtuelle Führung“ bzw. „Führung auf Distanz“ wurde in den zurückliegenden zwei Jahren corona-bedingt viel geschrieben und gesprochen. Doch zunehmend brennt den Führungskräften offensichtlich ein weiteres Thema auf den Nägeln: das Thema „laterale Führung“ bzw. „Führung ohne Weisungsbefugnis“. Das legt die Studie „Alpha Collaboration – Führung im Umbruch; Perspektiven für die Zusammenarbeit der Zukunft“ des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt, nahe.
Für die Studie wurden 482 Führungskräfte online und 51 in vertiefenden Interviews persönlich befragt. Dabei äußerten die meisten Führungskräfte (95,1 Prozent) die Vermutung, dass ihr Team auch mittel- und langfristig einen hybriden oder gar rein virtuellen Charakter haben wird. Zudem zeigten sich 79,9 Prozent davon überzeugt, dass künftig die Bereichsgrenzen in der Alltagsarbeit eine immer geringere Rolle spielen, weshalb das Thema laterale Führung an Bedeutung gewinnt.
Als Ursache nannten die Führungskräfte, dass die Kernleistungen der Unternehmen zunehmend in bereichs- und oft sogar unternehmensübergreifender Team- und Projektarbeit erbracht werden. Dadurch steigt die Bedeutung der Online-Kommunikation; außerdem die Abhängigkeit der Führungskräfte bei der Zielerreichung von anderen Personen als den eigenen Mitarbeitern. So zum Beispiel den Mitarbeitern anderer Bereiche und externen Dienstleistern.
Führungskräfte sind als Beziehungsmanager gefragt
Gegenüber diesen Partnern haben die Führungskräfte keine Weisungsbefugnis. Deshalb stehen sie vermehrt vor der Herausforderung, auch Personen zu inspirieren und zu „führen“, deren Vorgesetzte sie nicht sind. Entsprechend stark gewinnen aus ihrer Warte die Führungsrollen „Influencer/Beziehungsmanager“ (64,8 Prozent) und „Leader/Sinnstifter“ (79,8 Prozent) an Bedeutung.
Als zentralen Treiber dieser Entwicklung erachten die Führungskräfte neben der Digitalisierung (80,3 Prozent) eine Veränderung der Mitarbeiter (70,2 Prozent).
Die Anforderungen an Führung steigen weiter
Fast alle Führungskräfte erwarten, dass die Anforderungen an Führung weiter steigen – speziell in den Bereichen „Mitarbeiterführung“ (67,6 Prozent) und „Teamführung“ (80,5 Prozent). Darum verspüren sie bei sich einen großen Entwicklungsbedarf in den Bereichen „Digitalkompetenz“ (52,6 Prozent) sowie „Selbstführung/-management“ (37,0 Prozent); zudem in zwei Bereichen, die eng mit ihrer Fähigkeit, mit anderen Personen tragfähige Beziehungen aufzubauen, verbunden sind – nämlich
- Beziehungsmanagement (43,9 Prozent) und
- Kommunikation/Motivation (41,0 Prozent).
In diesem Themenfeld, bei dem es auch um die Fragen geht
- „Wie verstehe ich mich als Führungskraft?“,
- „Wie definiere ich meine Rolle?“ und
- „Wie verhalte ich mich deshalb im Kontakt mit anderen Personen?“
scheinen aktuell die meisten Führungskräfte einen Entwicklungsbedarf zu verspüren, sieht man von der Digitalkompetenz ab.
Der signalisierte Entwicklungsbedarf korrespondiert stark mit den Ergebnissen der Studie „Alpha Intelligence: Was Führungskräfte von morgen brauchen“, die das IFIDZ bereits 2014 durchführte. Sie kam zum Ergebnis: In der modernen, digitalen Arbeitswelt wandeln sich die Anforderung an Führungskräfte; sie müssen sich zu Beziehungsmanagern bzw. „alpha-intelligenten Persönlichkeiten“ entwickeln, die sich unter anderem durch eine hohe Persönlichkeits-, Beziehungs- und Digitalintelligenz auszeichnen.
Der „Alpha Collaboration“ gehört die Zukunft
Das sehen auch viele Führungskräfte so, unter anderem, weil sich bei ihnen offensichtlich ein Bewusstseinswandel vollzogen hat. So fiel in den persönlichen Interviews zum Beispiel auf: Wenn Führungskräfte heute von Teamführung sprechen, beziehen sie sich meist nicht nur auf die ihnen disziplinarisch unterstellten Mitarbeiter. Vielmehr rekurrieren sie in ihren Erzählungen über die Herausforderungen, vor denen sie stehen, auch immer wieder auf solche Netzwerkpartner wie Mitarbeiter und Führungskräfte anderer Bereiche sowie externe Partner wie Dienstleister und Kunden.
Die Führungskräfte haben also bereits die bereichs- oder gar unternehmensübergreifenden Arbeitsteams vor Augen, deren Zusammenarbeit sie im Alltag koordinieren müssen, um die angestrebte Leistung zu erbringen. Dieser bereichs-, funktions- und nicht selten auch unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit, die das IFIDZ – in Anlehnung an den Begriff Alpha Intelligence – kurz Alpha Collaboration nennt, gehört die Zukunft.
„Alpha Collaboration“ erfordert Vertrauenskultur
Ein Teil der Führungskräfte hat zudem bereits verinnerlicht, dass eine auf eine Verbesserung der Alpha Collaboration abzielende Führung, auch ein teils verändertes Selbstverständnis als Führungskraft und Führungsverhalten erfordert. Dies unter anderem, weil bei dieser Form der Zusammenarbeit die Führungskräfte vielen am Leistungserbringungsprozess beteiligten Personen nicht qua disziplinarscher Gewalt vorgeben können, tue dies und das. Sie müssen diese vielmehr aufgrund ihres Auftretens und Verhaltens sowie der Kraft ihrer Argumente als Mitstreiter gewinnen. Deshalb ist hierbei ebenso wie beim Führen auf Distanz Vertrauen ein zentraler Erfolgsfaktor.
Ansätze einer solchen Kultur der Zusammenarbeit und Führung, die in der VUCA-Welt zunehmend erfolgsrelevant ist, existieren bereits in den Unternehmen. Diese gilt es auszubauen.
Die Autorin Barbara Liebermeister ist Gründerin und Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt.