Sowohl die Gesamtgüterverkehrsleistung als auch der Straßenanteil im Modal-Split haben in den vergangenen Jahren entgegen den politischen Vorhersagen und Plänen zugenommen. Klimaneutralität kann, wenn überhaupt, erst 2050 und auch dann nur bei Ausschöpfung aller verfügbaren Potenziale gelingen, zeigt eine aktualisierte Studie von Univ. Prof. Sebastian Kummer vom Institut für Transportwirtschaft und Logistik der WU Wien.
Zwischen 2019 und 2023 hat der Modal-Split der Straße zugenommen und der der Schiene und des Binnenschiffs abgenommen. Für die Schiene wird sich dieser Trend fortsetzen. Gründe dafür sind die veränderte Marktnachfrage in Richtung kleinerer, individuellerer Sendungen und höherer Flexibilität, technologische Nachteile der Schiene durch europaweit unterschiedliche Stromstandards, Spurweiten und Zugsicherungssysteme, der allgemeine Zustand der Schieneninfrastruktur in Europa sowie generelle Kapazitätsengpässe durch den Vorrang des Personenverkehrs und zunehmenden Personalmangel.
Kummer: „Anhand der Fakten wird erneut deutlich, dass die Prognosen, auf deren Grundlage Klimaschutzministerium und Regierung planen und entscheiden, eher deren Wunschdenken als der Realität entsprechen.“ So ist entgegen den Prognosen des Umweltbundesamtes im Modal-Split der Marktanteil der Schiene gegenüber dem Straßengüterverkehr gesunken, anstatt anzusteigen.
Straße bleibt auch in Zukunft dominierender Verkehrsträger
In der Aktualisierung einer Studie aus den Jahren 2020 und 2021 hat Kummer mit seinem Team drei Szenarien zur Abschätzung des Wachstums von Straße und Schiene bis 2030 und 2040 berechnet. Dabei wird a) von einem Halten des Modal-Split im Jahr 2019, b) von einem anteiligen Wachstum der Schiene von 2,2 % pro Jahr und c) von einem Modal Split-Anteil der Schiene von 40 % im Jahr 2040 ausgegangen. Allen Szenarien liegt die Annahme zugrunde, dass der Güterverkehr in Österreich bis 2040 um 38 % wachsen wird, sofern Europa nicht in eine tiefe Rezession fällt.
Ergebnis aller drei Szenarioanalysen ist, dass die Straße weiterhin der dominierende Verkehrsträger bleiben wird. Bei einem Wachstum des Schienengüterverkehrs von 2,2 %, von dem auch die ÖBB ausgehen, und einem konstanten Modal-Split wird der Straßengüterverkehr bis 2040 um mehr als 24 Mrd. Tonnenkilometer gegenüber 7 Mrd. Tonnenkilometern der Schiene wachsen.
Um einen Schienenanteil von 40 % zu erreichen, müsste der Schienengüterverkehr bis 2040 um 100 % wachsen – sich also verdoppeln. Kummer: „Selbst unter der unrealistischen Annahme, dass bis 2040 ein Schienenanteil von 40 % erreicht wird, würde der Straßentransport um 17 % wachsen.“
Dekarbonisierung dringend notwendig
Vor diesem Hintergrund erscheinen die Ziele Österreichs und der Europäischen Union, die CO2-Emissionen im Straßengüterverkehr bis 2040 bzw. 2050 auf netto null zu reduzieren, immer weniger erreichbar. Selbst wenn alle erdenklichen Maßnahmen gesetzt werden, wäre ein Erreichen des Netto-Null-Emissions-Ziels, in Dekaden betrachtet, herausfordernd bis unwahrscheinlich:
- Bis 2030 liegen die größten CO2-Einsparungspotenziale in der Batterieelektrik (18 %) im Nahverkehr und im Einsatz von HVO (hydriertes Pflanzenöl, 10 %) auf der Langstrecke, während Wasserstoff (5 %) noch eine eher untergeordnete Rolle spielen wird und LNG (liquefied natural gas) sich weiterhin nicht durchsetzt. Gesamt würde das Zwischenziel für Einsparungen aber noch um 15 Prozentpunkte verfehlt werden.
- Im Zeitraum bis 2040 werden die Einsparpotenziale der Batterieelektrik massiv ansteigen, Wasserstoff wird mit den ebenfalls steigenden Einsparpotenzialen von HVO gleichziehen. Maßnahmen wie die Zulassung höherer Lkw-Kapazitäten, die Anpassung von Fahrverboten und die Forcierung von Leichtbau und Aerodynamik werden im Vergleich geringere Einspareffekte bringen, aber in jedem Fall unverzichtbar sein. Auch 2040 würden bei Realisierung aller Potenziale noch 7 bis 14 Prozentpunkte auf die Erreichung des österreichischen Netto-Null-Emissions-Zieles fehlen.
- Bis 2050 könnte bei erfolgreicher Ausschöpfung aller Potenziale ein klimaneutraler Straßengüterverkehr gelingen. Getragen würde dies zu 41 % durch batterieelektrische Technologien, zu 25 % durch den Einsatz von Wasserstoff, zu 22 % durch HVO sowie zu 15 bis 25 % durch den Einsatz von E-Fuels. Batterieelektrische und wasserstoffbasierte Technologien wären damit die größten Hebel zur CO2-Einsparung.
Straßengüterverkehr mit allen Mitteln nachhaltiger machen
Kummer: „Wer die vorliegenden Fakten und Szenarien auch nur annähernd ernst nimmt, dem ist klar: Ich muss jetzt handeln. Ich muss trotz begrenzter Möglichkeiten alles aus der Schiene herausholen. Vor allem aber muss ich den Straßengüterverkehr als größten CO2-Hebel mit allen Mitteln dekarbonisieren“.
Dazu ist ein breites Spektrum an Maßnahmen notwendig: Forschung und Investitionen in alternative Antriebe, effizientere Fahrzeuge, Infrastruktur und Digitalisierung, der Aufbau einer flächendeckenden europäischen Lkw-Lade- und Tankinfrastruktur, der Abbau bürokratischer Hürden sowie mehr Marktorientierung und Verlässlichkeit der Unternehmen im europäischen Schienengüterverkehr. Darüber hinaus braucht es einen technologieoffenen, integrierten Ansatz über alle Verkehrsträger und Antriebstechnologien hinweg, um CO2-Einsparungen möglichst rasch und umfassend zu erreichen.
Kummer: „Österreich ist besonders gefordert, realistische Modal-Split-Ziele zu formulieren und dann auch zu verfolgen. Die EU muss mit der Entwicklung und Abstimmung eines nachhaltigen Gesamtenergiekonzeptes für Industrie, Straße, Schiene, Wasserstraße und Luftfahrt die Grundlage für alle weiteren Maßnahmen sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene schaffen“.