Die EU-Taxonomie legt fest, welche Aktivitäten eines Unternehmens als nachhaltig gelten. Firmen, die diesen Standards entsprechen, haben Anspruch auf mehr Förderungen seitens der EU. Diese Nachhaltigkeitsberichterstattung ist allerdings sehr aufwendig und verunsichert vor allem den Mittelstand. Und nicht nur das: Kaum jemand durchblickt den Paragraphen-Dschungel und selbst Finanzjournalisten scheuen das Thema.
Dabei sei es sehr wichtig, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit, auch im Hinblick auf den Vorwurf von „Green Washing“ kritisch auseinanderzusetzen. Nicht nur für Nachhaltigkeitsbeauftragte, sondern auch für künftige Mitarbeiter, Kunden und Anleger – so der Tenor einer Expertenrunde des Internationalen Forums für Wirtschafskommunikation (IFWK) unter dem Titel „Sind plötzlich alle Investments grün?“ an der Wiener Börse.
„Der Kapitalmarkt bietet einen enormen Hebel. Damit dieser für die Transformation in eine nachhaltigere Zukunft genutzt werden kann, muss er weiterentwickelt werden. Volkswirtschaften mit entwickelten Kapitalmärkten werden schneller transformieren und sie werden stärker wachsen,“ sagte Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse, bei seiner Begrüßung.
ESG ist ein Mannschaftssport
Heidrun Kopp vom Institut für nachhaltiges Finanzwesen und Leiterin des Weiterbildungsprogramms zu Sustainable Finance Management an der FHWien der WKW, sieht die Problematik eher in der mangelnden faktischen Umsetzung der ESG-Standards in den Unternehmen. Das Kürzel ESG steht für nachprüfbare Kriterien bei der Geldanlage in den Dimensionen „Environment“, „Social“ und „Governance“. Kopp: „Bisher war das Nachhaltigkeitsthema oftmals als Beiwerk der Marketingabteilung im Unternehmen verortet. Langsam wird aber klar, dass die ESG-Maßnahmen durch die Taxonomie-Verordnungen alle Bereiche des Unternehmens betreffen und es zu wenig fachlichen Hintergrund bei den Mitarbeitern gibt. Denn ESG ist ein Mannschaftssport und es fehlt den Unternehmen die ganzheitliche Sicht.“ Die Schwierigkeit bestehe darin, dass das Thema durch die Verordnung so komplex geworden ist, dass es kaum Bereiche im Unternehmen gibt, die sich nicht damit beschäftigen müssen und man habe den Eindruck, das Thema aktualisiere sich wöchentlich.
Gefährliches Halbwissen im Journalismus
In genau dieser Komplexität verortet IFWK-Gründer Rudolf J. Melzer ein großes Problem in der Berichterstattung und letztlich in der Information, die bei den Konsumenten ankommt: „Wenn sich schon Experten wöchentlich auf den neuesten Stand der EU-Verordnung bringen müssen, um die Komplexität des Themas erfassen zu können, wie sollen das Journalisten schaffen, die dafür im Tagesgeschäft absolut keine Zeit haben? Besteht hier nicht die Gefahr gefährlichen Halbwissens, das an die Medienkonsumenten weitergegeben wird?“ Heidrun Kopp bestätigt die Schwierigkeit in der Kommunikation: „Es ist natürlich ein Mindestmaß an Wissen notwendig und dafür braucht es ein permanentes Upskilling auch bei den Journalisten. Die Konsumenten werden aber auch immer kritischer was das Thema ‚Green Washing‘ betrifft und tolerieren hier kaum noch Marketingfloskeln.“
Das bestätigt auch Nachhaltigkeits-, Finanz- und Kommunikationsexpertin Waltraud Kaserer: „Mainstream- und Publikumsmedien werden nie über komplizierte Inhalte berichten. Es ist auch für Fachjournalisten eine große Herausforderung, die vielen neuen Themen zur Nachhaltigkeit laufend zu beobachten und es für die Konsumenten so herunterzubrechen, dass es verständlich ist. Mit den Initiativen zur Klassifikation von guten und schlechten Offsets, den Science Based Targets, den Carbon Disclosure-Kriterien, der EU-Taxonomie und vielen anderen internationalen Initiativen bilden sich erst jetzt von Investoren und NGOs akzeptierte Standards heraus.“
Taxonomie soll „Green Washing“ stoppen
„Das Ziel der EU-Taxonomie ist es ja, Finanzströme in eine nachhaltige Richtung zu bringen“, erklärte Heidrun Kopp weiter. „Und sie hat das gleiche Thema, das der CSR in den letzten Jahren immer wieder vorgeworfen wurde – nämlich, dass die Maßnahmen nicht messbar sind. Und diese Messbarkeit greift jetzt durch die Taxonomie und setzt auch dem ‚Green Washing‘ ein Ende.“ Sogenannte ‚grüne Anleihen‘, wie sie in den Banken-Portfolios der letzten Jahre aufgetaucht sind, seien nämlich vielfach überzeichnet. Durch die Taxonomie zeige sich jetzt, dass die Portfolios nicht so nachhaltig ausgestattet sind, wie angenommen.
Große Lücken im Bereich der Datenerhebung ortet Katharina Schönauer, Senior Manager Sustainability Services bei KPMG: „Die bereits jetzt berichtspflichtigen Unternehmen in Österreich sind oft schon sehr gut aufgestellt, was die CSRD-Richtlinie betrifft, die weiteren 2000 Unternehmen, die voraussichtlich ab 2025 ihre Daten offenlegen müssen, noch nicht. Es fehlen viele Daten, und die Zeit ist sehr knapp.“
Mit der Taxonomie sei ‚Green Washing‘ kaum mehr möglich, sind sich die Diskutanten einig. Außerdem seien die Konsumenten mittlerweile so kritisch geworden, dass es ein zu großes Risiko für die Unternehmen sei, so Kaserer: „Ein Shitstorm auf Social Media ist schnell entfacht. Deshalb beschäftigen sich neben den Vorständen und Kommunikationsabteilungen der Unternehmen auch die Rechtsabteilungen sehr intensiv mit den ESG-Standards.“
Enkeltauglich statt nachhaltig
So sehr sich große Unternehmen schon mit dem Thema der ESG-Standards auseinandersetzen, so wenig präsent ist es beim Großteil der Konsumenten noch, sagt Christian Prantner, Konsumentenschützer für Finanzdienstleistungen bei der AK Wien: „Retailkunden und Kleinanleger haben zwar ein großes Interesse an nachhaltigen Finanzprodukten, in bei der tatsächlichen Kaufentscheidung wird Nachhaltigkeit aber nach wie vor oft abgewählt. Rendite ist die Nummer eins und dafür wird schlussendlich das ertragreichste Produkt gewählt – nachhaltig kommt in der Prioritätenliste erst danach.“
Für Konsumenten sei es momentan noch nicht greifbar, was der Begriff „ESG“ wirklich bedeutet. Es müsse gerade bei nachhaltigen Investmentfonds – sie sind das grüne Hauptprodukt bei Retail-Kunden – höhere Schwellwerte für mehr Glaubwürdigkeit geben: „Rein theoretisch müsste ein Fonds nur ein Prozent Nachhaltigkeit nachweisen, um das Label ‚grün‘ zu bekommen. In der Praxis sind häufig gerade einmal 51 Prozent der in einem Investmentfonds inkludierte Werte tatsächlich nachhaltig – und 49 Prozent sind es nicht. Wir sollten von zumindest 75 Prozent an ESG-konformen Werten in einem Fonds ausgehen und diese Schwellwerte sollten verbindlich sein für die Marktakteure, um a priori dem Greenwashing-Verdacht entgegenzutreten.“
Daraufhin stellte die Moderatorin, Brutkasten-Chefredakteurin Sara Grasel, die provokante Frage: „Heißt das also im übertragenen Sinn, dass ein bisschen Kinderarbeit schon ok ist?“
Georg Lemmerer, Senior Director bei der Schelhammer Capital Bank AG: „Das ist natürlich nicht ok. Aber wir sehen schon, dass ‚Nachhaltigkeit‘ als Begriff so inflationär verwendet wird, dass die Menschen schon eine Aversion dagegen entwickeln. Ich spreche lieber von ‚enkeltauglich‘. Ich befürchte, dass durch die Komplexität der Taxonomie-Verordnung viele Kunden zu nachhaltigen Produkten sagen werden: ‚Nein, lieber nicht!‘ – Wir können dieses Thema nicht auf die Bildung der Kunden abwälzen.“
Die Diskutanten sind sich einig, dass es enorm wichtig ist, sich mit Nachhaltigkeit auf allen Ebenen auseinanderzusetzen. Das „Wie?“ ist allerdings noch ausbaufähig. Lemmerer: “Wir laufen Gefahr, uns in Europa durch die Taxonomie unseren eigenen Wettbewerbsnachteil weltweit selbst zu verordnen. Es wäre besser, das Thema Nachhaltigkeit in allen Facetten ehrlich und realitätsnahe, anstatt komplex und bürokratisch anzugehen.”
Den exklusiven Kreis der Diskussionsrunde komplettierten unter anderem: Gabriele Schallegger, Managing Director Board & Paper bei Mayr-Melnhof, Isabella Mader, Vorstand von Excellence Research, APA-CFO sowie Gentics-Geschäftsführerin Doris Pokorny, die Leiterin der Unternehmenskommunikation und CSR Brau Union, Gabriela Straka, sowie Martin Fenyoe, Head of Sales bei Capgemini in Österreich.