Der Arbeitskräftemangel ist aktuell eine große Herausforderung für die österreichische Wirtschaft. Der Handel fordert finanzielle Anreize für die Erhöhung der Wochenarbeitszeit und eine Reform des Arbeitslosengeldes. Außerdem müssen Betriebe selbst attraktivere Arbeitsplätze schaffen, um den Arbeitskräftemangel entgegenzutreten.
Im Rahmen des „Memorandum of Understanding“ zwischen der Wirtschaftskammer und dem Arbeitsministerium erneuert der Handelsverband seine Forderung nach einer umfassenden Arbeitsmarktreform mit einer degressiven Gestaltung des Arbeitslosengeldes. Jetzt drängt die Zeit, denn die Nachwirkungen der Pandemie und die jüngsten Pensionierungswellen haben trotz vielfacher Überzahlungen zu einem gravierenden Personalmangel geführt. Einen Aufschwung aus der Teuerungskrise kann nur geschafft werden, wenn mehr Stellen besetzt werden können.
„Natürlich ist es ein wichtiges und richtiges Zeichen, dass Österreich alles unternimmt, um den Fachkräftebedarf zu decken, aber wir dürfen uns hier nicht nur auf das Ausland verlassen. Wir haben vieles selbst in der Hand, um noch mehr qualifizierte Arbeitnehmer zu gewinnen“, kommentiert Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB.
62 Prozent der Handelsbetriebe von Arbeitskräftemangel betroffen
Laut der jüngsten HV-Händlerbefragung sind aktuell 62 Prozent aller Handelsbetriebe von Arbeitskräftemangel betroffen. 6 Prozent mussten im letzten halben Jahr bereits einzelne Geschäfte temporär schließen. Bei weiteren 14 Prozent war bzw. ist auf Grund dessen nur ein eingeschränkter Betrieb möglich.
Fast ein Drittel schreibt zurzeit offene Stellen als Teilzeit aus, obwohl Vollzeit-Beschäftigte bevorzugt eingestellt würden. Und: 74 Prozent der Handelsbetriebe lehnen die zuletzt von der Arbeiterkammer geforderte Einführung der 4-Tage-Woche (32h pro Woche) bei vollem Lohnausgleich ab, weil dies gerade in der Teuerungskrise finanziell schlicht nicht leistbar wäre und de facto eine Gehaltserhöhung um mehr als 20 Prozent bedeuten würde.
Leichte Entspannung der Personalsituation im Einzelhandel
Zumindest im Einzelhandel ist eine leichte Besserung in Sicht. “Erstmals in 12 Monaten zeichnet sich eine leichte Entspannung der Personalsituation ab. Die Zahl der offenen Stellen, die nicht zeitnah besetzt werden können, ist zuletzt von 14.100 auf 13.800 zurückgegangen. Doch bis die Effekte bei allen Händlern spürbar sind und ein höherer Anteil der Vakanzen besetzt werden kann, wird es noch einige Zeit dauern”, bestätigt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will.
Betriebe müssen attraktive Arbeitsplätze anbieten
Ausbildung und Qualifizierung sind für Reischl nur zwei Schlüssel, um den Arbeitsmarkt weiter zu attraktivieren: „Betriebe müssen sich mehr anstrengen und attraktive Arbeitsplätze anbieten, wenn sie die besten Arbeitskräfte wollen. Das Angebot muss stimmen“, so die Gewerkschafterin. Firmen, die das erkennen, haben weniger Probleme, ihre Jobs zu besetzen. Dazu zählen bessere Arbeitsbedingungen, ordentliche Gehälter und Löhne, attraktive und planbare Arbeitszeiten, Arbeitszeitverkürzung sowie die Möglichkeit zur Vereinbarung von Familie und Beruf. Der ÖGB fordert weiter den Ausbau der Kinderbildungsplätze in Österreich und einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem 1. Geburtstag des Kindes.
Positives Umfeld für Fachkräfte aus dem Ausland schaffen
Wer Fachkräfte aus dem Ausland für einen Job in Österreich begeistern will, „der muss auch ein entsprechendes Umfeld bieten“, steht für Reischl außer Frage: „Auch hier braucht es Angebote für die Kinderbildung, Unterstützung bei der Wohnungssuche aber auch Hilfe bei der Suche nach einem Arbeitsplatz für Partner sowie verpflichtende Informationen über arbeits- und sozialrechtliche Rechte und Pflichten. Das darf es nicht nur für Spitzenmanager geben!“, betont Reischl.
Forderung nach einer Reform des Arbeitslosengeldes
Wer in Österreich arbeitslos wird, bekommt 55 Prozent des letzten Monatsgehalts als Arbeitslosengeld ausbezahlt. Dieser Wert ist eher niedrig, dafür sinkt er mit der Zeit kaum noch, weil nach dem Arbeitslosengeld Notstandshilfebezogen werden kann, die nur geringfügig unter diesem Niveau liegt. Die Notstandshilfe garantiert ein dauerhaftes Arbeitslosengeld auf fast unverändertem Niveau.
Ebenfalls zeitlich unbegrenzt können heimische Arbeitslose bis zur Geringfügigkeitsgrenze — 500,91 Euro pro Monat — dazuverdienen. Was als Sprungbrett zurück in den Arbeitsmarkt gedacht war, hat sich de facto in ein Hindernis verwandelt, das die Arbeitslosigkeit häufig noch verlängert. Gerade bei niedrigen Einkommen gibt es kaum noch finanzielle Anreize, aus Arbeitslosigkeit in ein sozialversicherungspflichtiges Dienstverhältnis zu wechseln.
Der Handelsverband empfiehlt daher eine degressive Gestaltung des Arbeitslosengeldes. Die Zuverdienstmöglichkeiten beim Bezug von Arbeitslosengeld sollten finanziell wie zeitlich begrenzt werden. “Und natürlich müsste man auch bei der Vollzeitarbeit selbst ansetzen, Stichwort Lohnnebenkosten. Kaum wo in Europa zahlen Unternehmen so viel für ihre Beschäftigten, ohne dass es in den Taschen der Angestellten landet. Hier herrscht Handlungsbedarf. Leistung muss sich wieder lohnen”, so Handelssprecher Rainer Will abschließend.
(pi)