ESG Governance als strategische Managementaufgabe

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Environmental Social Governance, kurz ESG, wird für Unternehmen aller Branchen immer wichtiger. Dr. Heidrun Kopp, Expertin für CSR & Nachhaltigkeit, gibt in ihrem Gastbeitrag einen Überblick über einige Aspekte rund um ESG.

Als Reaktion auf das Pariser Klimaabkommen[1] (seit 2016 in Kraft) wurde 2018 der EU Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums veröffentlicht. Im Fokus zunächst die europäische Finanzwirtschaft, die mit der Lenkung von Finanzströmen[2] und der Berücksichtigung von Umwelt- und Klimarisiken („ESG-Risiken“) maßgeblich für eine Transformation der Wirtschaft in eine klimaneutrale Zukunft in die Pflicht genommen wird. Der regulatorisch-gesetzliche Rahmen von ESG Maßnahmen betrifft dabei nicht nur die Finanzwirtschaft, sondern letztlich alle Unternehmen und Branchen – wenn auch zeitverzögert und mit unterschiedlicher Intensität. Um die neuen europäischen Vorgaben erfolgreich im Unternehmen zu implementieren, bedarf es eines einschlägigen Know-hows gepaart mit bestehender Unternehmenserfahrung und einer entsprechenden Governance. ESG ist damit einer strategischen Managementaufgabe gleichzusetzen!

EU Taxonomie: nicht nur für „die Großen“

Der EU Aktionsplan umfasst 10 Punkte und neben der EU Taxonomie u.a. auch die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitspräferenzen in der Finanzberatung (z.B ökologische und/oder soziale Veranlagungen), Entwicklung eines Green Bond-Standards und eines EU Ecolabels sowie mehr Transparenz durch eine Verbesserung der Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen.

Nachhaltigkeit als Begriff wird seit Jahrzehnten auch im wirtschaftlichen Kontext verwendet, und das zumeist sehr beliebig: „Unter Nachhaltigkeit versteht jeder/jede etwas, aber nicht notwendigerweise das gleiche“ (Votaw, 1972). Um „Nachhaltigkeit“ oder konkreter ESG[3] einheitlich bewerten und messen und damit managen zu können, hat die EU Kommission mit der EU Taxonomie ein standardisiertes Klassifizierungsmodell für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten („Tätigkeiten nicht Unternehmen!“) vorgegeben.

Die Taxonomie müssen alle Unternehmen anwenden, die auch der nicht-finanziellen Berichterstattung (in Österreich geregelt im Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz, kurz: NaDiVeG) unterliegen. Dies gilt für große Unternehmen von öffentlichem Interesse mit einer Bilanzsumme von mehr als € 20 Mio bzw. €40 Mio Umsatzerlöse, sowie mit mehr als 500 Beschäftigten, für Finanzdienstleister oder generell Unternehmen, die am Kapitalmarkt sind. Das trifft zurzeit auf rd. 100 Unternehmen in Österreich zu. Nachdem die damit verbundenen Erwartungen –  und zwar nicht nur in Österreich – nur unzureichend erfüllt worden sind, gibt es eine Weiterentwicklung in Form der europäischen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Damit wird nicht nur der Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen erweitert (mehr als 250 Mitarbeiter, kapitalmarktorientierte KMUs), sondern auch ein einheitliches Berichtsformat vorgegeben (European Sustainability Reporting Standard, ESRS). Weiters müssen nicht-finanzielle Informationen im Lagebericht, testiert vom Wirtschaftsprüfer, veröffentlicht werden. Die Einführung erfolgt in mehreren Stufen, wobei die ersten Unternehmen ab dem Geschäftsjahr 2024 nach der CSRD berichten müssen.   

ESG erfordert aktuelles Fachwissen

EU Taxonomie, nicht-finanzielle Berichterstattung, EU Aktionsplan, EU Green Deal, ESG, Nachhaltigkeitsratingagenturen, Greenwashing, Umwelt- und Klimarisiko, Klimastresstest, EU Umweltziele, Lieferkettengesetz, sustainability-linked lending, …. die Liste ESG-relevanter Begriffe lässt sich beliebig fortsetzen.

Genau wie bei „Nachhaltigkeit“ verbergen sich hinter jedem dieser Begriffe – auch wenn sie zunächst vertraut klingen – bereits umfangreiche operative Inhalte, die aktuelles Detailwissen erfordern, um die daraus resultierenden Erfordernisse wie neue Geschäfts- bzw. Interne Kontrollprozesse (IKS-Prozesse), also adaptierte Governance Strukturen im Unternehmen umsetzen zu können.  Keine triviale Aufgabe. Viele MitarbeiterInnen haben in den letzten Jahren in Eigeninitiative bereits Maßnahmen gesetzt oder sich Wissen „er-googelt“, weil sie bereits kundenseitige Nachfrage oder auch den Druck aus der Lieferantenkette konkret wahrgenommen haben. Das ist einerseits sehr löblich, dennoch erfordert eine erfolgreiche ESG Implementierung einen strukturierten Ansatz, der die zahlreichen Einzelmaßnahmen in einen Projektplan mit klaren Prioritäten und Zuständigkeiten zusammenfasst.

Aufgrund analoger Erfahrungen agieren auch HR-Abteilungen unter dem Stichwort employer branding. Sie wollen insbesondere junge Bewerberinnen ansprechen, die sich genau ansehen, für welches Unternehmen sie arbeiten wollen – die momentane Zeit der HR-Ressourcenknappheit spielt diesen dabei in die Hände. ESG, hier insbesondere das „S“ ist auch beim Recruiting ein zunehmend wesentlicher Faktor.

Exkurs: Umwelt- und Klimarisiken – finanzierbar- und versicherbar bleiben Kreditentscheidungsprozesse sind in Zukunft nicht mehr nur die Diskussion um Rentabilität, Liquidität und Rückzahlungsfähigkeit, sondern auch um damit einhergehende Umwelt- und Klimarisiken. Gemeint sind dabei nicht nur physische Risiken, die uns allen geläufig sind, wie z.B. Auswirkungen von Lawinenabgängen, Starkregen, Sturm, Überschwemmungen, sondern auch soge. Transitionsrisiken. Diese werden laut FMA Leitfaden zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken „als Risiken bezeichnet, die durch den Übergang zu einer klimaneutralen und resilienten Wirtschaft und Gesellschaft entstehen und so zu einer Abwertung von Vermögenswerten führen können (…)“.[4] Also beispielsweise eine C02-Steuer, technologische Entwicklungen oder auch geändertes Konsumverhalten (z.B. vegetarisches, veganes Essen; Hafer- statt Kuhmilch). Auch wenn es zunächst primär Branchen mit hoher Energieintensität in der Produktion (z.B. Zement, Stahl) bzw. durch Verwendung deren Produkte (z.B. Autoindustrie) betrifft, werden auch andere Sektoren und Klein- und Mittelbetriebe in der jeweiligen Wertschöpfungskette indirekt betroffen sein. Die Auseinandersetzung mit regulatorisch-gesetzlichen Rahmenbedingungen betrifft direkt oder indirekt jede Branche, nicht nur die Finanzwirtschaft. Gilt es doch – gerade in einer kreditfinanzierten Volkswirtschaft wie Österreich – für die Unternehmen finanzier- und auch versicherbar zu bleiben.

Eine erfolgreiche ESG-Implementierung erfordert also neues Know-how, sodass sich die Anforderungsprofile neuer MitarbeiterInnen etwas ändern werden, quasi vom WU zum Boku-Absolventen. Ja, aber das allein reicht nicht.  Ziel muss es sein, bestehendes Wissen und Erfahrung mit neuen inhaltlichen Anforderungen zu verbinden, also Controlling & ESG, Risikomanagement & ESG, Legal & ESG, Compliance & ESG, Sales & ESG, Facility Management & ESG, usw. Ein fundiertes Up-skilling der MitarbeiterInnen ist unerlässlich, und damit ein konkretes Anwendungbeispiel für lifelong learning, wie in vielen Nachhaltigkeitsberichten unter der „S(ozial)-Rubrik“ diskutiert. Fundiertes Know-how ist dabei auch die beste Möglichkeit, um Greenwashing durch Unkenntnis und mangelnder Erfahrung im Unternehmen zu vermeiden.

ESG ist Mannschaftssport

ESG ist wie die Digitalisierung eine Querschnittsmaterie. Es erfordert vernetztes Denken, und Wissen um das bestehende Geschäftsmodell. Neue Abläufe und Anwendungen müssen bereichsübergreifend diskutiert und implementiert werden: ein Arbeiten im Silo einzelner Abteilungen ist nicht nur kontraproduktiv, sondern frustrierend und zeitraubend. ESG ist eine Teamdisziplin, und die Zeit der Elfenbeintürme hat hier ausgedient. 

ESG Implementierung darf nicht dem Zufall überlassen werden, sondern muss bewusst strukturiert und organisiert sein. Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter ist dabei ein Muss. Erfolgreiche Unternehmen identifizieren engagierte Klimaschützer im Unternehmen, ernennen sie offiziell zu Ambassadoren und vernetzen sie mit anderen engagierten und insbesondere neuen MitarbeiterInnen. So geht moderne Unternehmensführung im Lichte des Klimaschutzes.

Ich persönlich bin der Meinung, dass jedes Unternehmen eine zentrale Anlaufstelle, sei dies – je nach Größe des Unternehmens – ein erfahrener Mitarbeiter/erfahrene Mitarbeiterin mit ESG-Ausbildung, oder eine Task force, die als organisatorische Einheit, Ansprechpartner für interne (Vorstand, Aufsichtsrat) oder externe Stakeholder (Wirtschaftsprüfer, Nachhaltigkeitsratingagenturen) ist. Für größere Unternehmen wird es zielführend sein, das eigene Commitment durch den Einsatz eines Chief Sustainability Officers glaubhaft zu zeigen: zumindest auf Bereichsleiter-, wenn nicht sogar auf Vorstandsebene. Gleiches gilt für das Aufsichtsrats-Gremium, auch hier werden ESG-ExpertInnen in Zukunft unerlässlich sein, um die Unternehmen in eine innovative, klimaneutrale Zukunft zu lenken.

Diskutieren Sie mit! Ich freue mich über Ihre Anmerkungen & Ergänzungen bzw. über welches Thema Sie mehr erfahren möchten unter heidrun.kopp@inafina.org.

Dr. Heidrun Kopp ist Expertin für CSR & Nachhaltigkeit. Ihr Wissen hat sie sich in Universitäten in Europa und den USA angeeignet. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Bankensektor, wo ihr Schwerpunkt die Integration von CSR & Diversity ins Kerngeschäft von Banken ist. 2014 gründet sie das Institut für nachhaltiges Finanzwesen als Dialogforum für zukunftsfähige, ökologische und soziale Initiativen im Finanzwesen. Seit 2021 ist sie Leiterin des Weiterbildungsprogramms zu Sustainable Finance Management an der FHWien der WKW.

[1] Bereits mit dem Bericht des Club of Rome „Über die Grenzen des Wachstums“ 1972 wird die Ressourcenverfügbarkeit international diskutiert.

[2] Artikel 2/Abs 1c des Pariser Klimaschutzabkommens hält fest, dass „internationale Finanzströme mit den Klimazielen in Einklang zu bringen sind“.

[3] Environment – Soziales – gute Unternehmensführung

[4] Downloads/fma-leitfaden-zum-umgang-mit-nachhaltigkeitsrisiken%20(1).pdf

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