Wie können Unternehmen potenzielle Bewerber erreichen und sich gleichzeitig als attraktiver Arbeitgeber positionieren? Bei der DIGITAL INNOVATION SESSION der COPE Content Performance Group präsentierten vier Expertinnen und Experten den 90 Besuchern smarte Ideen auf der Suche nach Talenten.
Die heimischen Recruiter und HR-Verantwortlichen stehen derzeit vor einer Herausforderung, die es so noch nie gab: den akuten Fachkräftemangel. War es früher vor allem ein Problem der IT-Branche, trifft es nun alle Wirtschaftsbereiche. Über 80 Prozent der heimischen Mittelstandunternehmen haben Schwierigkeiten, geeignete Fachkräfte zu finden. 40 Prozent beklagen laut einer Studie von Ernst&Young erhebliche Umsatzeinbußen infolge des Fachkräftemangels.
“Recruiting muss den unausgesprochenen Regeln von Social Media folgen”, betont Thoman Gaiswinkler, Enterprise Account Executive DACH bei LinkedIn. Im Internet werden in 60 Sekunden mehr Informationen verbreitet, als wir im Leben konsumieren können. Millisekunden entscheiden darüber, ob einen User oder eine Userin der Inhalt interessiert oder nicht. Belangloses wird innerhalb von wenigen Sekunden vergessen. “Wir sind, wir bieten, wir suchen – diese klassische Trias einer Stellenanzeige funktioniert in der Informationsflut nicht mehr”, so Gaiswinkler.
Recruiting muss relevant sein, sonst wird es nicht wahrgenommen. Was dabei zählt ist der erste digitale Eindruck, etwa die Unternehmenspräsentation im Internet und auf Social Media. Aber wie erkennt man, dass man interessant für die Zielgruppe ist? Was zählt, sind nicht die Zahl der Likes oder Kommentare, sondern die Zeit, die die User bei den Beiträgen verbringen. Nur wenn Unternehmen mit Themen auffallen, einen Unterschied machen, bekommen sie Relevanz. Und wie bei jeder Kommunikation funktioniert auch im Recruiting Emotion besser als Fakten. Daher gilt: „Die Marke sollte über Personen ergänzt werden“, rät Thoman Gaiswinkler: „Lasst die Mitarbeiter:innen zu Wort kommen.“
Talentsuche unter den 5,3 Mio. heimischen Gamern
Um die gewünschten Zielgruppen zu erreichen, sollten Unternehmen außerdem neue Plattformen und Kanäle nutzen. “Vor allem im Bereich Gaming & eSports bestehen noch einige Möglichkeiten, First-Mover zu sein”, meint Max Ratzenböck, Digital Business Consultant bei der COPE Group und Gaming & eSports Experte in der BeyondGaming-Unit der Content Marketing Agentur. Gaming ist ein Massenphänomen, etwa 5,3 Millionen Österreicher:innen spielen digital. Nahezu jede Altersgruppe und Bildungsschicht kann angesprochen werden. Und es wird auch die weibliche Zielgruppe erreicht. Etwa die Hälfte der Gamer:innen sind Frauen. Besonders interessant für Recruiter: “Die Fähigkeiten der Gamer und Gamerinnen decken sich mit den Anforderungen der sogenannten MINT-Berufe. Sie sind technisch affin, haben eine hohe Medienkompetenz und zeichnen sich oft durch Ehrgeiz, Beharrlichkeit und Resilienz aus”, so Max Ratzenböck. Sei es über Employer Branding auf Streamingportalen wie Twitch, indem Unternehmen Präsenz auf Gaming-Events zeigen, bis hin zur Erstellung eines eigenen, kleinen Spiels für Recruiting im Metaverse Roblox: Die Gamer:innen sind dort abzuholen, wo sie sind.
Menschen mögen Menschen
“Unternehmen sollten Organisationsentwicklung und Employer Branding integriert denken”, rät Christian Moser, Leiter der Organisationsentwicklung bei niceshops, dem besten Arbeitgeber Österreichs lt. Great Place to Work. Oder anders ausgedrückt: “Was wir draußen erzählen, das machen wir auch tatsächlich”. Raus aus dem Hamsterrad, auf diese Devise setzte der steirische Onlinehandel- und E-Commerce-Überflieger auf der Suche nach neuen Kollegen im Software-Bereich. Dafür wurde eine eigene Landingpage, das Nice Code Valley, geschaffen. Auf dieser wird das Unternehmen nicht nur rational mit Zahlen und Fakten dargestellt, es werden auch die Emotionen der potenziellen Bewerber angesprochen. Wie das geht? “Unternehmen sollen die Menschen ins Zentrum stellen. Menschen mögen Menschen”, meint Carina Hödl, Teamlead der Nice IT von niceshops. Also ließ das Unternehmen die Mitarbeiter:innen über ihren Job erzählen, sei es in Videos oder auf Karriere-Events. So schafft man glaubwürdige Geschichten. “Die Bewerber:innen müssen außerdem wissen, worauf sie sich einlassen”, so Carina Hödl weiter. Dafür hat niceshops auch ein Projekt auf Github, an dem Interessent:innen coden und sehen können, wie im Unternehmen entwickelt wird.
Versprechen überfüllen
Einer der wichtigsten Faktoren beim Employer Branding: “Hinterlassen Sie einen authentischen Eindruck”, betont Christian Moser. Bei niceshops stellte man sich zusätzlich die Frage, was das Unternehmen über die Kandidaten-Journey hinaus tun kann, um am Arbeitsmarkt attraktiv zu sein. Die Antwort von Christian Moser: “In Überfüllung gehen”. Also die Versprechen, die Bewerber:innen gegeben werden, sogar noch zu übertreffen. Und hier setzt die Organisationsentwicklung an, dies betrifft auch die Bereiche Führung und Entscheiden. Ein paar Beispiele von niceshops: hohe Autonomie des und der Einzelnen, kollegial organisierte Teams, in Gruppen wird bestimmt, wer etwa über IT-Ressourcen entscheiden sollen. Eine positive Unternehmenskultur ist ein Treiber fürs Recruiting. “Keiner soll z’wider von der Arbeit nach Hause gehen”: Das hat sich niceshops zum Ziel gesetzt. Dass dieses auch tatsächlich umgesetzt wird, beweist die diesjährige Auszeichnung durch das weltweit agierende Institut „Great Place to Work“ als bester Arbeitgeber Österreichs in der Kategorie über 500 Mitarbeiter. (pi)