Investieren und die Liquidität sichern. Umstrukturieren und das Alltagsgeschäft am Laufen halten. In solchen Zielkonflikten, auch Dilemmata genannt, befinden sich Unternehmen ständig. Führungskräfte müssen lernen, sie zu managen.
Mitarbeiter kritisieren oft, dass ihre Vorgesetzten sie mit wechselnden Zielvorgaben überflüssigerweise „mehrbelasten“. Meist liegt diesen Klagen ein Problem zugrunde, mit dem fast alle Führungskräfte kämpfen: Sie müssen ein ganzes Bündel von sich teils widersprechenden Zielen erreichen; und weil die Rahmenbedingungen sich ändern, müssen sie auch immer wieder die Prioritäten verschieben.
Bei Ereignissen wie der Corona-Pandemie, dem Ukraine-Krieg usw. ist dies gehäuft der Fall. Denn sie nötigen das Management oft zu einem kurzfristigen Gegensteuern – zum Beispiel um die Liquidität und Handlungsfähigkeit des Unternehmens zu wahren. Dieses Gegensteuern erfolgt häufig ohne, dass die Unternehmensführung selbst genau weiß, wie es mittel- und langfristig weitergeht. Also muss sie nach einiger Zeit Kurskorrekturen vornehmen. Deshalb haben die Mitarbeiter oft das Gefühl: Mein Arbeitgeber hat keine Strategie – zumindest wenn ihnen die Verschiebungen der Prioritäten nicht hinreichend erklärt werden.
Dilemmata sind nicht lösbar
Von einem Dilemma spricht man, wenn eine Person zeitgleich mehrere, sich teils widersprechende Ziele erreichen möchte oder muss. Ein typisches Dilemma ist die vieldiskutierte „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Hierfür gilt wie für alle Dilemmata: Dieser Zielkonflikt lässt sich nur bedingt lösen – egal, wie viel Unterstützung der Arbeitsgeber oder Staat gewährt. Denn: Wer viel Geld verdienen will, muss in der Regel auch viel arbeiten.
Solche Dilemmata gibt es auch in Unternehmen. Ein typisches Dilemma der Unternehmensführung ist: Wenn der Betrieb auch künftig zu den Top-Anbietern im Markt zählen soll, muss er investieren. Wird hierfür jedoch viel Geld ausgegeben, dann sinken Liquidität sowie Ertrag und die Verschuldung steigt. Die Folge: Die Firma wird abhängiger von Kapitalgebern, und dies kann die Eigenständigkeit und sogar Existenz gefährden.
In Krisen- oder Marktumbruchzeiten, in denen sich im Unternehmensumfeld ein Paradigmenwechsel vollzieht, zeigen sich Dilemmata verschärft, denn dann enden die gewohnten Wege, mit solchen Zielkonflikten umzugehen, oft in Sackgassen.
Dilemmata kann man nur managen
Kennzeichnend für Dilemmata ist: Sie lassen sich nicht lösen. Denn selbstverständlich muss ein Unternehmen Vorsorge betreiben, dass es auch in fünf oder zehn Jahren noch erfolgreich ist. Also muss es investieren und sich weiterentwickeln. Dabei muss es jedoch darauf achten, dass es sein Tagesgeschäft noch erfüllen kann und liquide bleibt. Die Produktivität und Marktfähigkeit dürfen also nicht leiden. Darin, hier stets die rechte Balance zu finden, besteht die wahre Managementkunst, denn Dilemmata lassen sich nicht ein für alle Mal lösen. Sie können nur gemanagt werden. Dabei lassen sich folgende „Schritte“ unterscheiden.
Schritt 1: Das Dilemma erkennen
Bereits dies fällt den Beteiligten in den Unternehmen oft schwer. Den Top-Entscheidern, weil sie zu wenig ins Alltagsgeschäft involviert sind, den Führungskräften, weil sie bei ihrer Arbeit primär ihren eigenen (Aufgaben-)Bereich vor Augen haben.
Schritt 2: Das Dilemma nicht negieren
Pragmatische Macher neigen dazu, Dilemmata zu negieren. Sie interpretieren zum Beispiel Hinweise auf (mögliche) Probleme häufig als Ausdruck einer mangelnden Entschluss- und Tatkraft. Entsprechend aktionistisch ist ihr Handeln. Dieses trägt oft sogar „Früchte“, zum Beispiel in Form einer kurzfristigen Umsatz- und Renditesteigerung. Doch nicht selten rächt es sich irgendwann, dass über einen längeren Zeitraum die „konkurrierenden“ Ziele vernachlässigt wurden. Zum Beispiel in der Form, dass die Produkte des Unternehmens nicht mehr marktfähig sind. Oder Leistungsträger scharenweise abwandern.
Schritt 3: Das Dilemma aufzeigen
Die meisten Ziele von Unternehmen hängen direkt oder indirekt zusammen und beeinflussen sich wechselseitig. Entsprechend wichtig ist es, für das Managen von Dilemmata zu analysieren,
• welche Ziele hat das Unternehmen,
• wie hängen diese zusammen,
• inwiefern beeinflussen sie sich wechselseitig und
• welchen Einfluss haben sie auf den kurz-, mittel- und langfristigen Erfolg?
Hilfreich kann hierbei das Erstellen einer Strategielandkarte sein, in der die Ziele aufgelistet sind und ihre wechselseitige Beziehung abgebildet wird.
Schritt 4: Regeln für den Umgang mit Dilemmata vereinbaren
Welches Vorgehen empfiehlt sich, wenn ein Mitarbeiter erkennt: Es fällt mir schwer, Familie und Beruf zu vereinbaren, und ich leide darunter? Dann sollte er das Gespräch mit seinem Vorgesetzten suchen und zu ihm sagen: „Chef, ich habe einen ‚Zielkonflikt‘. Lass‘ uns mal darüber reden, wie wir ihn so ‚lösen‘ können, dass meine Interessen und die des Betriebs angemessen berücksichtigt werden.“ Außerdem sollte er sich mit seinem Lebenspartner an einen Tisch setzen und zu ihm zum Beispiel sagen: „Wir wollen beide Karriere machen und trotzdem Zeit für uns und unsere Familie haben…. Lass‘ uns mal darüber reden, wie wir ….“. Am Ende des Gesprächs können dann Absprachen getroffen und Regeln für den Umgang mit dem Zielkonflikt vereinbart werden.
Ähnlich ist es in Unternehmen. Auch hier muss jemand die Initiative ergreifen und mit Nachdruck sagen: „Wir haben einen Zielkonflikt und müssen uns auf eine Strategie verständigen, wie wir.…“ Dies ist gerade deshalb wichtig, weil viele Zielkonflikte in Unternehmen so „alltäglich“ sind, dass sie oft als „nicht managebar“ erachtet werden. Deshalb wird ihre Bearbeitung häufig so lange auf die lange Bank geschoben, bis bildlich gesprochen die Hütte brennt und aus dem „Problem“ schon eine Krise oder gar Katastrophe wurde. Dies gilt es zu vermeiden.
Schritt 5: Sich nicht engstirnig an die Regeln halten
Unternehmen bewegen sich in einem dynamischen Umfeld. Das heißt, die Rahmenbedingungen ändern sich permanent. Deshalb müssen die Verantwortlichen regelmäßig prüfen: Eignen sich die formulierten Regeln noch zum Managen der Dilemmata oder brauchen wir neue?
Diese gilt insbesondere, wenn unvorhergesehene Ereignisse wie
• das Zusammenbrechen strategisch wichtiger Lieferketten oder
• ein massiver Anstieg der Rohstoff- und Energiepreise
die Handlungsfähigkeit und Liquidität des Unternehmens bedrohen. Dann müssen sich die Entscheider fragen: Sollten wir unsere aktuellen Regeln für den Umgang mit den Dilemmata zumindest vorübergehend außer Kraft setzen, um markt- und handlungsfähig zu bleiben?
VUKA-Welt erfordert geschärftes Dilemmata-Bewusstsein
Auf besondere Herausforderungen und veränderte Rahmenbedingungen flexibel zu reagieren, gelingt Unternehmen nur, wenn zumindest im Führungskreis ein gemeinsames Dilemmata-Bewusstsein besteht. Dieses müssen Unternehmen ihren Mitarbeitern und insbesondere ihren Führungskräften verstärkt vermitteln. Zudem sollte ihr Führungspersonal lernen, viele sich teils widersprechende Ziele parallel zu managen und diese bei Bedarf neu auszubalancieren.
Der Autor Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner.