Der Bedarf der österreichischen Unternehmen an kurzfristiger Finanzierung von Lagerhaltung und Betriebsmitteln hat sich im zweiten Quartal 2022 intensiviert und die Kreditnachfrage deutlich steigen lassen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine und die damit zusammenhängenden Lieferkettenprobleme und Preisanstiege sind der wesentliche Grund dafür, wie die aktuelle Umfrage der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) über das Kreditgeschäft zeigt. Die vierteljährliche Umfrage, in der führende Banken nach ihren Einschätzungen gefragt werden, wurde im Juni 2022 durchgeführt.
Die Nachfrage nach Unternehmenskrediten steigt nun schon seit fünf Quartalen. Im zweiten Quartal 2022 fiel der Nachfrageanstieg besonders deutlich aus. Die Banken haben zuletzt allerdings auch vermehrt Kreditanträge von kleinen und mittleren Unternehmen abgelehnt. Seit dem vierten Quartal 2021 ist der Bedarf der Unternehmen an kurzfristiger Finanzierung von Lagerhaltung und Betriebsmitteln der wesentliche Treiber der Nachfrageentwicklung. Diese Entwicklung hat sich in Folge des Ukraine-Kriegs im zweiten Quartal 2022 nochmals deutlich verstärkt. Für das dritte Quartal 2022 erwarten die befragten Banken eine weiter steigende Nachfrage nach kurzfristigen Krediten, insgesamt aber keinen ausgeprägten Nachfrageanstieg, weil die Nachfrage nach (großvolumigen) langfristigen Krediten stagniert.
Entwicklungen im Kreditgeschäft mit Unternehmen stark vom Krieg in der Ukraine beeinflusst
Die Banken wurden auch zu den Folgen des Kriegs in der Ukraine befragt. Die bereits bestehenden Lieferkettenprobleme sowie der Preisauftrieb bei Energie und Rohstoffen haben sich nochmals erheblich verschärft. Die gestiegene Nachfrage nach kurzfristigen Krediten zur Finanzierung von Lagerhaltung und Betriebsmitteln ist eine unmittelbare Konsequenz davon. Die Lieferkettenprobleme veranlassen Unternehmen, vorsorglich ihre Lagerbestände aufzubauen, um selbst produktions- und lieferfähig zu bleiben – ein Strategiewechsel von „just-in-time“ zu „just-in-case“. Umfassende Preissteigerungen erhöhen generell den Liquiditätsbedarf der Unternehmen.
Die Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung wirkt hingegen dämpfend auf die Nachfrage nach langfristigen Krediten, weil Unternehmen bei Investitionen vorsichtiger sind bzw. Investitionsprojekte verschieben.
Angebotsseitig veranlassen der Krieg und seine Folgen die Banken zu verschärften, an die Situation angepassten Risikoanalysen und zu strengeren Kreditvergabeentscheidungen. Ihre Kreditangebotspolitik im Unternehmenskundengeschäft haben die Banken teilweise bereits restriktiver ausgestaltet, weitere Verschärfungen sind absehbar. Grundsätzlich sind aber genügend Mittel für die Kreditvergabe vorhanden. Wenn die Unternehmen die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen, kann die Kreditwirtschaft einen erhöhten Liquiditätsbedarf bedienen – sowohl für die kurzfristige Finanzierung von Betriebsmitteln als auch die Finanzierung langfristiger Investitionen.
Zurückhaltende Entwicklungen bei privaten Wohnbaukrediten zeichnen sich ab
Im zweiten Quartal 2022 haben die Banken ihre Richtlinien für private Wohnbaukredite etwas verschärft. Als Grund nannten sie die ungünstiger gewordene Risikosituation. Für das dritte Quartal erwarten die Banken weitere und deutlichere Verschärfungen der Richtlinien für Wohnbaukredite sowie einen Rückgang der in den letzten Jahren sehr kräftigen Nachfrage nach Wohnbaukrediten. Dies steht auch mit der Einführung rechtlich verbindlicher Mindestvergabestandards bei der privaten Wohnimmobilienfinanzierung im Zusammenhang.
Gemäß den Angaben der befragten Banken haben der Krieg in der Ukraine und die hohe Inflation bisher nur geringe Auswirkungen auf ihr Privatkundengeschäft. Durch die zunehmende finanzielle Belastung der Haushalte und inflationsbedingte Reallohnverluste rückt allerdings das Thema Leistbarkeit bzw. Rückzahlungsfähigkeit von Krediten in den Fokus, was zu restriktiveren Kreditvergabeentscheidungen durch die Banken führt bzw. führen wird – ähnlich wie im Unternehmenskundengeschäft.
Die Zentralbanken des Euroraums – in Österreich die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) – führen gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank (EZB) seit Anfang 2003 viermal jährlich eine Umfrage über das Kreditgeschäft im Euroraum durch, um ihren Informationsstand über das Kreditvergabeverhalten der Banken, die Kreditnachfrage von Unternehmen und privaten Haushalten, sowie sonstige die Geldpolitik betreffende Themen zu verbessern. Dabei werden rund 150 führende Banken aus allen Ländern des Euroraums befragt, darunter acht Institute aus Österreich. (pi)