Die Transformation der Mobilität hin zur Klimaneutralität steht im Zentrum der aktuellen industrie- und gesellschaftspolitischen Debatte. Fossile Energieträger gelten als Haupttreiber des menschengemachten Treibhausgasanstiegs – ihr Ausstieg ist daher essenziell, um die Klimaziele zu erreichen. Doch der Weg dorthin ist komplexer als vielfach angenommen: Nicht eine einzelne Technologie, sondern ein breites Spektrum an Lösungen und Energieträgern ist notwendig, um den gesamten Lebenszyklus von Fahrzeugen klimafreundlich zu gestalten. Wie das 46. Internationale Wiener Motorensymposium zeigt, braucht es neben technischen Innovationen vor allem Technologieoffenheit, verlässliche politische Rahmenbedingungen und eine ganzheitliche Betrachtung – von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung. Der Fokus verschiebt sich dabei von der oft missverstandenen „Dekarbonisierung“ hin zur präziseren „Defossilisierung“: Der Ersatz fossiler Rohstoffe durch nachhaltige Alternativen steht im Mittelpunkt einer neuen Mobilitätsära, die von globalen Akteuren und neuen Allianzen geprägt wird.
Um aus fossilen Energien aussteigen und so den „anthropogen mitverursachten Treibhausgasanstieg“ in Griff bekommen zu können, braucht es nicht eine, sondern alle technisch und wirtschaftlich möglichen Lösungen: Wie der Veranstalter des Internationalen Wiener Motorensymposiums, TU-Professor Bernhard Geringer, zur Eröffnung dieses 46. Gipfeltreffens der globalen Fahrzeug- und Motoren-Entwickler sowie der Fahrzeugindustrie betonte, muss in der Bewertung von „Net Zero Mobility“ nicht nur der Ausstoß während des Betriebes, sondern der gesamte Lebenszyklus eines Fahrzeugs von der Rohstoffgewinnung und Produktion bis zur Entsorgung betrachtet werden. „Korrekt sollte das Ziel als ‚Defossilisierung‘ anstatt ‚Dekarbonisierung‘ bezeichnet werden. Um dieses Ziel erreichen zu können, brauchen wir vereinte Anstrengungen und die gesamte physikalische Variantenvielfalt an klimaneutralen Energieträgern samt den dazu passenden Antriebstechniken.“
Technologieoffenheit im Antrieb gebe Flexibilität und auch Sicherheit: „Europas Industrie und Handel braucht Planungssicherheit. Dafür sind dringend verlässliche Regelungen von Seiten der Politik notwendig“, forderte Professor Bernhard Geringer bei der Eröffnungspressekonferenz. Neben der Personen- und Nutzfahrzeugindustrie ist vor allem die nachhaltige Energieindustrie an verlässlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen interessiert, so dass Investitionen in Entwicklung und Produktion längerfristig geplant werden können. „Die aktuelle EU-Flottengesetzgebung der reinen Fahrzeug-Treibhausgas-Emission ist unzutreffend und muss einer Gesamt-Systembetrachtung – wie etwa in Japan – weichen. Damit haben auch klimaneutrale Kraftstoffe und energieeffiziente Antriebe wie Range-Extender (REX) eine Chance. China macht uns das mit den sogenannten New Energy Vehicles – u.a. BEVs und REX – vor.“
Horse Powertrain: Neuer Sektor in Automobilindustrie
Was Professor Geringer damit meint, erklärte in Wien Matias Giannini, CEO von Horse Powertrain, einem 2024 in London gegründeten Joint Venture zwischen Geely, einem der größten Automobilhersteller Chinas (dazu gehören u.a. Marken wie Volvo), sowie der Firmen Renault und dem saudischen Aramco-Konzern. Horse Powertrain bietet komplette Antriebsstränge für defacto alle Automobil-Hersteller der Welt an. Das heißt, auch große Hersteller entwickeln und bauen zukünftig ihre Motoren- und Getriebe-Einheiten für Elektro- oder Hybrid-Antriebe nicht mehr zur Gänze selbst, sondern ein Spezialist liefert diese Modullösung für den jeweiligen Bedarf. „Bis 2040 werden noch eine Milliarde Verbrennungsmotoren auf den Straßen unterwegs sein. Horse Powertrain baut das fehlende Glied: Hybride, synthetische Kraftstoffe und ein modulares System, das für die Kompatibilität mit Elektro- und Multi-Fuel-Plattformen ausgelegt ist. Unsere Lösungen rationalisieren die Produktion und geben Erstausrüstern die Flexibilität, ihre Antriebsstrategien an die besonderen Anforderungen des jeweiligen Marktes anzupassen. Wir gestalten einen neuen Sektor – denn die Zukunft wird nicht von einer einzigen Technologie bestimmt, sondern von denen, die viele beherrschen. Wir brauchen nicht Solisten, sondern ein Orchester. So verbinden wir die Herausforderungen von heute mit den Netto-Null-Zielen von morgen.“
Eigene Wasserstoffwirtschaft in China und Indien
Mit der neuen Rolle Asiens in der Automobilindustrie beschäftigte sich auch der Vortrag von Markus Heyn, Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH und Vorsitzender von Bosch Mobility, Stuttgart: „Die weltweite Fahrzeugindustrie blickt zunehmend nach Asien, und Bosch mischt mit seiner Expertise auch dort ganz vorne mit. China ist heute der größte Automobilmarkt der Welt. Diese Größe ist auch ein Innovationstreiber. Die Innovationsgeschwindigkeit dort ist doppelt so hoch wie in Europa, das bedeutet auch mehr Innovationen auf dem Markt. China ist unter anderem Leitmarkt für Batterie- und Hybrid-Fahrzeuge. Neue Antriebstechnologien werden inzwischen vor allem im Reich der Mitte zuerst eingeführt. Zum Erfolgsrezept gehört: eine enge Zusammenarbeit von Herstellern und Zulieferern sowie klug gesetzte Rahmenbedingungen. So ist es China gelungen, den Hochlauf der insbesondere für LKW wichtigen Wasserstoff-Mobilität zu starten. Auch Indien hat inzwischen begonnen, eine eigene Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Von China und Indien müssen wir in Europa lernen.“
Die Zukunft der Antriebe hat mehrere Dimensionen
„Bis 2039 wollen wir bilanziell CO2-neutral sein.“ – Wie der Vice President Electrified Drive Systems bei Mercedes-Benz, Torsten Eder, sagte, stehen dabei die Kernprinzipien Performance, Effizienz und Flexibilität, im Mittelpunkt dieser Transformation. Konkret präsentierte das Unternehmen in Wien technologische Innovationen wie die neue Mercedes Modular Architecture (MMA), die maximale Vielseitigkeit ermöglicht – von höchsteffizienten batterieelektrischen Antrieben mit hohen Ladegeschwindigkeiten und Reichweiten bis hin zu modernen 48 V-Hybridsystemen mit elektrischem 8-Gang Getriebe. 800 Volt Spannung sind der neue Standard für vollelektrische Fahrzeuge.
Neue Konzepte wie der kompakte Axialfluss-Elektromotor würden in naher Zukunft neue Möglichkeiten im Bereich der Performance-Elektromobilität ermöglichen. Im AMG „ist der neue E-Motor der V8 des Elektrozeitalters. Aber auch der klassische V8 wird damit nicht obsolet.“ Mit diesem breiten Antriebsportfolio könne man auch künftig für jeden Kundenwunsch das perfekte Fahrzeug anbieten. „Mercedes-Benz bietet auch in Zukunft den perfekten Antrieb für jedes Kundenbedürfnis – batterieelektrisch oder hybridisch. Mit Performance, Effizienz und Flexibilität führt das Unternehmen seine langjährige Antriebskompetenz in eine neue Ära der Mobilität.“ (Eder)
90 Prozent aller Busse künftig elektrisch
Frederik Zohm, Vorstand für Forschung & Entwicklung bei MAN Trucks & Bus, bekräftigte die künftige Bedeutung von batterieelektrischen Antrieben für Nutzfahrzeuge: „Diese haben bei der Energieeffizienz und den Betriebs- und Energiekosten aktuell deutliche Vorteile gegenüber anderen Antriebskonzepten. Der CO2-Ausstoß der aktuellen MAN-Lkw-Bestandsflotte beträgt rund 70 Millionen Tonnen pro Jahr, das liegt etwas über dem gesamten CO2-Ausstoß von Österreich. Bis 2030 sollen bis zu 90 Prozent aller neuen Busse und 50 Prozent aller neuen MAN-Lkw mit batterieelektrischen Antrieben ausgestattet sein. Daher treiben wir die Elektrifizierung unserer Fahrzeuge sehr konsequent voran.
Herkulesaufgabe
Bereits im Sommer läuft die Großserienproduktion des eTrucks im MAN-Werk München an. Erste eTrucks sind bereits im Kundeneinsatz. Der MAN eTruck bietet dabei ein modulares Batteriekonzept, zahlreiche Radstände, verschiedene Fahrerhaus-Varianten, Nebenantriebe und Branchenausstattungen, was über eine Million Konfigurationsvarianten ermöglicht und die Bedarfe aller relevanten Branchen, Aufbaulösungen und Transportaufgaben erfüllt. Die Ausstattung mit dem Megawattladestandard MCS mit bis zu 1000 kW ermöglicht perspektivisch zudem das Wiederaufladen innerhalb der Lenkzeitpause des Fahrers. Der Aufbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur ist ganz entscheidend für den Hochlauf der Elektromobilität. Hier muss die Politik die erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen. Die Dekarbonisierung des Straßengüterverkehr ist eine Herkulesaufgabe und daher nur im Schulterschluss mit allen Beteiligten – Wirtschaft, Politik und Wissenschaft – zu schaffen.“
Warum es Defossilisierung und nicht Dekarbonisierung heißen muss
Ohne Kohlenstoff gebe es kein Leben auf dieser Welt, daher sei es falsch, vom Ziel der „Dekarbonisierung“ zu sprechen, erklärte Professor Geringer: „Der Kohlenstoff ist das zentrale Element der organischen Chemie und gilt als der Ursprung allen Lebens und bildet die Grundlage für Proteine, Kohlenhydrate, Fette etc. Ohne Kohlenstoff im Kreislauf zu halten, wird es keine nachhaltigen Produkte wie Kunststoffe, Arzneimittel, Kraftstoffe wie e-Fuels, Chemikalien etc. geben. Zur Dekarbonisierung gehören Methoden wie Elektrifizierung und Effizienzsteigerungen, während bei der Defossilisierung fossile Rohstoffe (Erdöl, Erdgas) durch Alternativen wie Biomasse und recycelte Produkte ersetzt werden.“