Interview mit Janka Krings-Klebe
Transformation und Digitalisierung sind kein Hexenwerk, so Janka Krings-Klebe, Expertin für Innovationsmanagement und Unternehmenskultur. Als Autorin eines geplanten Buches mit dem Arbeitstitel “Thriving Amidst Disruption” möchte sie Unternehmen, insbesondere Führungskräften, Ideen und Methoden an die Hand geben, um ihre Organisationen agiler, robuster und antifragiler zu gestalten. Im Gespräch erläutert sie die Bedeutung ganzheitlicher Digitalisierung, und wie Unternehmen ihre Innovationsfähigkeit stärken können.
xBN: Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben. Worum wird es bei Ihrem neuen Buch gehen?
JKK: Unser Buch in Planung trägt den Arbeitstitel “Thriving Amidst Disruption” und ist gedacht als eine Art “Hitchhiker’s Guide to Digital Transformation”. Ich denke, viele haben “Per Anhalter durch die Galaxis” gelesen, eine Anleitung durch das Universum zu reisen und Handbuch für alles, was man dazu wissen muss. In unserem Buch geht darum, Unternehmen, insbesondere natürlich Führungskräften, nicht Methoden, aber Ideen und Prinzipien an die Hand zu geben, wie sie ihr Unternehmen agil, robuster, resilienter und letztendlich antifragil entwickeln sowie auch ein passendes Ökosystem aufbauen. Antifragil bedeutet hier, aus der Bewältigung von Krisen neue Stärke zu entwickeln.
xBN: Viele Unternehmen tun sich schwer dabei, ihre eigene Modernisierung voranzutreiben. Zuletzt beim Global Peter Drucker Forum wurde zum Thema digitale Transformation die Frage diskutiert “Was dauert hier eigentlich so lange?”. Nun gut, wir dürfen da schon länger daran arbeiten und auch laufend verbessern. Aber oft ist nicht klar, wie man Umsetzung gestaltet und was dabei alles zu beachten ist. Viele geben zu, damit überfordert zu sein, weil sie glauben, digitale Konzepte nicht ausreichend zu verstehen und damit Gefahr laufen, folgenschwere Fehlentscheidungen zu treffen. Wird das Buch hier helfen?
JKK: Ja, das Buch wird ein Leitfaden. Wir zeigen, dass digitale Transformation anders ist als “klassische” Veränderungsthemen, wo es vielleicht darum geht, ein neues Fertigungsverfahren einzuführen. Das sind alles methodische Themen, da kann viel von Best Practices gelernt werden. Ja, da muss man sich an ein paar neue Verfahren gewöhnen, aber an sich gelingt so etwas inzwischen gut. Digitale Transformation geht über reine Digitalisierung der Prozesse hinaus. Das bedeutet, dass ich die Art und Weise, wie ich mein Geschäft mache, grundlegend überdenke.
Wenn ich heute noch eine Papier-Straßenkarte nutze, um meine Route zu planen, dann kann das durchaus als Scheidungsgrund enden: “Schatz, du hättest jetzt eben rechts abfahren müssen.” So plant heute niemand mehr die Urlaubsreise. Wir haben heute alle Navigationssysteme, sparen viel Zeit, geben die Destination ein, umfahren Staus und Baustellen, suchen Raststellen und Tankstellen. Das heißt, wir arbeiten anders und der Scheidungsgrund fällt auch weg – also weniger Streitereien an den Schnittstellen. Warum sollte ich im Unternehmen, wenn ich so viele neue Möglichkeiten habe durch Technologien, Dinge immer noch auf die alte Weise machen, wie vor 100 Jahren? Das bedeutet, dass ich tatsächlich darüber nachdenken muss, wie ich mein Geschäft anders machen kann. Was kann ich vielleicht auch an neuem, zusätzlichem Geschäft machen, was ich bisher gar nicht konnte? Beispielsweise Geschäftsmodelle wie Pay per use: wenn ich die umsetzen will, muss ich aber auch intern die Möglichkeit schaffen, Leistungen mikroweise abzurechnen. Das ist also mitzudenken. Was bedeutet das? Um Umsätze aus neuen Geschäftsmodellen generieren zu können, muss in diese Änderungen investiert werden. Das kann bis dahin gehen, dass Strukturen der Organisation geändert werden müssen, um flexibler zusammenarbeiten zu können. Und das ist das, was die Unternehmen immer noch zurückschrecken lässt.
Wenn wir uns Studien ansehen, dann zeigt sich relativ einheitlich, dass zwischen 75 und 90 Prozent aller Transformationsaktivitäten einfach deshalb scheitern, weil einzelne Elemente isoliert betrachtet werden. Oft wird befürchtet, dass die Belegschaft nicht mitzieht. Das ist oft dann so, wenn das Wort “Veränderung” bemüht wird. Das stimmt ja so in Wahrheit nicht. Wenn man es richtig angeht, ist das nicht ein Projekt, bei dem eine Neuerung “von oben” getrieben wird, sondern bei dem mehr Autonomie gewährt wird, und Teams mit dezentraler Entscheidungsmacht ausgestattet werden. “Shared Leadership” ist der Begriff dazu: Entwicklung kann ich nicht verordnen – aber auch Autonomie nicht. So etwas muss wachsen. Wenn ich sage: “So, jetzt seien Sie mal agil und entscheiden Sie selbst. Sie sind jetzt autonom und auch für Gewinn und Verlust verantwortlich”, dann lassen wir auf diese Weise das Team allein und es entsteht Angst. Das liegt daran, dass zu Beginn oft die Kompetenzen noch nicht da sind. Das ganze System muss lernen, die Führung muss sich dennoch laufend einbringen, wenn auch nicht mit Anordnungen. Lernen beinhaltet auch Ausprobieren und Hinfallen, und wieder aufstehen. Teams können nur psychologisch sicher sein, wenn sie auch Fehler machen können. Das heißt, dass dann tatsächlich ein Mitarbeitender in einer Vorstandskonferenz mit einer schlechten Nachricht kommen kann, ohne dafür “abgebürstet” und rausgeschmissen zu werden. So können wir sicherstellen, dass das gesamte System aus diesen schlechten Nachrichten dann letztlich lernen kann. Wenn immer alles schon gut ist, gibt es ja keine Weiterentwicklung.
Da kann ich als Unternehmen auch erst einmal vielleicht mit einem Team oder mit zwei Teams beginnen, und die anderen unterstützen, wo es vielleicht noch Barrieren im Unternehmen gibt. So können wir auch anfangen, sukzessive Hürden abzubauen. Auf diese Weise entwickeln finden Teams Lösungen und entwickeln schließlich neue, funktionierende Systeme. Dann kommt das nächste Team mit dem nächsten Projekt. So entsteht ein Rollover auf positive Art, bis dann die anderen auch so arbeiten wollen.
Entwicklung kann ich nicht verordnen – aber auch Autonomie nicht. So etwas muss wachsen.
Janka Krings-Klebe
xBN: Das klingt sehr nachvollziehbar und anschaulich. Dann müssten in Kürze auch die Scheidungsraten zurückgehen! Sie sind auch Gründungsmitglied der Business Ecosystem Alliance. Was dürfen wir uns darunter vorstellen? Das klingt so, als wäre das genau in diese Richtung angesetzt.
JKK: Ein Eco-System kann man sich relativ einfach vorstellen: Im Prinzip haben wir Ökosysteme im wirtschaftlichen Zusammenhang schon lange: Wir haben z.B. regionale Verbünde, wo Unternehmen zusammenarbeiten. Selbst ganz im Kleinen ist das so. Wenn ich einen Handwerksbetrieb beauftrage für eine größere Renovierung, dann empfiehlt dieser Betrieb die nächsten Gewerke, denen dieser Betrieb vertraut. Hier arbeiten auch Teams autonom oder teilautonom zusammen.
Beim Groß-Hausgeräte Weltmarktführer Haier (der mit diesem Management-Konzept zum Weltmarktführer aufstieg, Anm. d. Red) zum Beispiel arbeiten viele kleine Micro-Enterprises sehr erfolgreich zusammen. Wenn ein Unternehmen einen neuen Markt erkunden möchte und das “Old School” macht, dann kann das lange dauern und teuer kommen. Die Ökosystem-Methode heißt, ich schicke einfach sehr viele Teams los, alle haben gute Ideen, und es ist vollkommen egal, wenn einzelne Teams scheitern, denn dann lernen alle daraus. Selbst wenn nur zwei Teams erfolgreich sind, dann hat sich das schon gelohnt, weil das gesamte Ökosystem nicht auf Null zurückfällt. Durch Learnings aus Fehlern bekommt das gesamte System eine unglaubliche Resilienz, die wir gerade in der heutigen Zeit dringend brauchen, in der die Märkte so volatil und unvorhersehbar reagieren. Dadurch wird es möglich, viel schneller in den Markt zu gehen.
In der aktuellen Entwicklung gibt es bei vielen Dingen gerade gar kein Best Practice, an dem man Anleihen nehmen könnte. Wir werden sehr viel experimentieren müssen. Das ist die einzige Möglichkeit, in komplexen Umgebungen erfolgreich und schnell genug zu sein.
Die Business Ecosystem Alliance hat sich zum Ziel gesetzt, eine Plattform zu bieten, um Wissen zu teilen und um zu zeigen, welche Unternehmen schon so arbeiten. Dazu publizieren wir regelmäßig, in Buchform oder Artikeln. Der Gründer, Stuart Crainer (auch Co-Founder der Thinkers 50) veranstaltet dazu monatlich Webinare mit unterschiedlichen Gästen zu einem bestimmten Schwerpunkt-Thema. So erhalten die Teilnehmenden ganz unterschiedliche Facetten zum Thema und es kann so über die Zeit Wissen aufgebaut werden. Das ist auch unser Anliegen, dieses Thema für die Unternehmen transparenter und greifbarer zu machen. Lernen ist das Hauptthema. Wir denken immer, dass Transformation als Hauptthema vorgeschaltet werden muss, aber eigentlich müsste da Lernen stehen.
Lernen ist das Hauptthema. Wir denken immer, dass Transformation als Hauptthema vorgeschaltet werden muss, aber eigentlich müsste da Lernen stehen.
Janka Krings-Klebe
xBN: Das Thema Lernen führt direkt zur nächsten Frage: Sie unterrichten Innovationsmanagement an der Steinbeis School of International Business & Entrepreneurship. Themen wie Innovation und Unternehmenskultur gehören leider noch nicht zum breiten Wissen, sollten sie aber. Können Sie uns einen Einblick geben, wie Innovation und Unternehmenskultur heute zukunftsorientiert gedacht und gestaltet werden können?
JKK: Kann ich gerne machen. Zunächst einmal beginne ich tatsächlich ganz Old School, weil der geschichtliche Zusammenhang wichtig ist, wie sich ein Thema entwickelt hat. So entsteht ein tieferes Verständnis darüber, warum Dinge heute so sind wie sie sind. Wenn wir die prägenden Momente, die prägenden Einflüsse verstehen, wissen wir auch, warum sich Innovationsmanagement so entwickelt hat: Wir haben uns einfach lange Zeit der Illusion der Planbarkeit und Kontrolle hingegeben. Wir dachten, wir können alles planen im Unternehmen. Das war auch immer schon eine Illusion, nicht nur heute. Da arbeite ich mit meinen Studentinnen und Studenten daran, indem ich ihnen zeige, wo wir herkommen, sodass sie ein Verständnis dafür entwickeln, warum Unternehmen heute so funktionieren wie sie es tun. Es waren nämlich nicht alle Entscheidungen schlecht. Vieles hatte zu seiner Zeit durchaus seine Berechtigung und hat Mehrwert geschaffen. Wenn dieses Verständnis der Zusammenhänge aufgebaut ist, dann können wir auch darüber reden, wie Innovation heute aussehen muss. Und da ist der Haupttenor in meiner Vorlesung, dass es nicht mehr reicht, eine Abteilung mit dem Thema Innovation zu beauftragen. Innovationsfähigkeit ist eine Kernkompetenz des Unternehmens. Das ganze Unternehmen muss in der Lage sein, innovativ zu denken. Jeder einzelne. Es müssen nicht alle brillante Köpfe sein, die die nächste große Milestone Innovation hervorbringen. Obwohl, manchmal tun es auch die Leisen und Stillen. Die Frage ist: Was brauche ich denn dafür in Unternehmen, dass alle die Möglichkeit haben? Was braucht es im Unternehmen, dass eine Idee in eine Innovation verwandelt werden kann? Das muss so einfach sein wie so ein one-click-buy auf Amazon. Da tun sich halt die meisten Unternehmen noch schwer, und darum ist es mir wichtig, die Nachwuchsgeneration mit dieser Idee auszustatten. Es ist wichtig, dass Innovation alle angeht. Dazu werden wir aber auch alle für die eigentliche Umsetzung befähigen müssen. Wie entsteht eigentlich ein Ergebnis in der Realität? Das können so einfache Fragen sein, wie komme ich an Budget? Wie kann ich den oder die CFO überzeugen, das zu finanzieren? Wie kann ich einen Business Impact darstellen – also was es bringt? Wir sehen uns auch Formate wie Innovationslabore etc. an. Wann funktionieren die, wann funktionieren die nicht? Wir sehen uns viele gute Beispiele an, etwa die spanische Bank BBVA ist mit dabei, die Schwedischen Handelsbanken und viele andere. Wir schauen uns in der Tiefe an, was die anders machen.
xBN: Das klingt sehr vielversprechend. Den Nachwuchs auszubilden, reicht beim heutigen Tempo allerdings nicht. Ich nehme an, Sie arbeiten dazu in Unternehmen auch mit Executives im Coaching?
JKK: Ja, wir können uns nicht ausschließlich darauf verlassen, dass zeitgemäße Innovationspraktiken nur von Absolventinnen und Absolventen stammen, sondern das geht direkt auch in die in die Führungsebenen hinein.
xBN: Das würde methodisch aber anders aussehen?
JKK: Ja, da geht er erst einmal darum, das Bestandsgeschäft zu analysieren, und dass verstanden wird, wo das Unternehmen steht. Sind die Dinge, denen man im Markt hinterherjagt, nach den Erfolgen der Vergangenheit noch aktuell oder zukunftsfähig? Welche Stärken gibt es im Unternehmen, die ich weiter ausbauen muss? Wo fehlen noch Kompetenzen? Gerade da stoßen wir immer wieder auch auf das leidige Thema Digitalisierung, dass viele Unternehmen die Voraussetzungen gar nicht haben. Da gibt es kein einheitliches System, viele Insellösungen. Oft ist der erste Schritt, das Bestandsgeschäft auf den Stand der Technik zu heben. Mit so einem “digitalen Rückgrat” bieten sich bessere Möglichkeiten, neue Geschäftsmodelle oder Variationen des eigenen Geschäftsmodells zu etablieren. Wir entwickeln das dann gemeinsam weiter im Coaching, oder auch in Bootcamps. So lernen alle, an Innovation mitzuwirken. Innovation kann auf diese Weise sukzessive in die DNA der Organisation einsickern.
xBN: Das bedeutet, es ist alles machbar. Digitale Transformation ist also ein bisschen wie Zähneputzen, nicht einmal pro Jahr für 4 Stunden, sondern regelmäßig jeden Tag – und alle.
JKK: Richtig. Wenn ich jetzt sage, ich möchte nächstes Jahr einen Marathon laufen und laufe im Moment noch nicht, dann kann ich mir zwar ansehen, wer letztes Jahr den Marathon gewonnen oder welche Schuhe die Gewinnerin oder Gewinner getragen hat und mir solche Schuhe kaufen. Das hilft mir vielleicht beim Laufen, weil ohne Schuhe ist es dann doch etwas unangenehm, aber damit ist das Thema natürlich nicht erledigt. Ich muss irgendwann meinen Hintern hochkriegen und regelmäßig laufen gehen. Auch hier werde ich zuerst eine kurze Strecke schaffen, dann längere. Wenn ich es öfter tue, dann wird es Gewohnheit. Da muss das Gehirn auch nicht die ganze Zeit drüber nachdenken. Der Vorgang wird dann gewissermaßen ein Selbstläufer – zufällig hier auch ganz konkret!
xBN: Vielen Dank für das unterhaltsame und lehrreiche Gespräch und für die Zeit!
Das Interview führte xBN Herausgeberin Isabella Mader.
Janka Krings-Klebe ist eine renommierte internationale Expertin für Innovationsmanagement und Unternehmenskultur. Sie unterrichtet Innovationsmanagement an der Steinbeis School of International Business and Entrepreneurship und ist geschäftsführende Gesellschafterin der Co-Shift GmbH mit Sitz in Ludwigsburg, die auf Trainings und Advisory spezialisiert ist. Janka Krings-Klebe ist auch Gründungsmitglied der Business Ecosystem Alliance.
Beitrag von Janka Krings-Klebe und Jörg Schreiner zum Thema im Global Peter Drucker Forum Blog: https://www.druckerforum.org/blog/how-haiers-antifragile-strategy-succeeds-amidst-disruptionby-janka-krings-klebe-jorg-schreiner/