Der deutsche Automobilzulieferer MAHLE ist ein weltweit tätiger Konzern mit über 70.000 Mitarbeitern und knapp 13 Milliarden Euro Umsatz. Bisher produzierte der Konzern vor allem Komponenten für Verbrennungsmotoren, doch setzt MAHLE angesichts des Wandels in der Automobilindustrie zunehmend auf Diversifizierung und Innovation. In diesem Zusammenhang investiert das Unternehmen verstärkt in Forschung und Entwicklung, um sein Produktportfolio zu erweitern. Wie sich der Markt für Autozulieferer verändert und welche Strategien MAHLE verfolgt, erzählt Arnd Franz, Vorsitzender der Geschäftsführung und CEO des global tätigen Zulieferkonzerns, im Interview mit xBN.
Neben traditionellen Verbrennungsmotor-Komponenten konzentriert sich MAHLE nun auch auf Elektromobilitätslösungen, wie Batteriesysteme, Elektromotoren und Ladetechnologien. Diese strategische Neuausrichtung soll MAHLE dabei unterstützen, seine Wettbewerbsfähigkeit in einer zunehmend emissionsarmen und digitalisierten Mobilitätslandschaft zu stärken. Die neue Strategie des Unternehmens richtet den Fokus auf drei Strategiefelder: Elektrifizierung, Thermomanagement und ICE, also Komponenten für effiziente und saubere Verbrennungsmotoren.
Wie hat sich der Markt für Autozulieferer in den letzten Jahren entwickelt? Welche Trends können Sie feststellen?
Der Kampf gegen den Klimawandel und die dadurch nötige drastische Reduzierung der CO2-Emissionen sind zur obersten Priorität geworden. Dafür konzentrieren sich Automobilhersteller und -zulieferer immer stärker auf neue Antriebssysteme. Die Zukunft der Mobilität ist elektrisch. Unsere Konzernstrategie nimmt diesen Wandel auf: Elektrifizierung und das dafür notwendige Thermomanagement sind zwei große MAHLE Strategiefelder. Auch wenn die Produktionsumfänge für Verbrennungsmotoren insgesamt zurückgehen, bleiben sie in vielen Märkten ein wichtiger Faktor und bilden unser drittes Strategiefeld. Wir bleiben hier verlässlicher Lieferant unserer Kunden und arbeiten daran, fossile Kraftstoffe künftig durch Wasserstoff und weitere erneuerbare Kraftstoffe zu ersetzen. Ebenfalls ein Trend ist Systemkompetenz – der Schlüssel zu künftigem Erfolg. Es wird für einen Zulieferer nicht mehr genügen, einzelne Produkte zu entwickeln. Deshalb arbeiten wir daran, unsere Fähigkeiten als global agierender Systemlieferant weiter auszubauen und unseren Kunden ganzheitliche Lösungen zu ermöglichen. Dafür ist auch Digitalisierungs-Know-how ein entscheidender Faktor.
Welche Rolle spielen nachhaltige Kraftstoffe im Verkehrssektor bzw. in der Automobilbranche?
Wenn wir die anspruchsvollen Klimaziele erreichen wollen, dürfen wir uns nicht allein auf die E-Mobilität beschränken. Wir müssen auch den Verbrennungsmotor nachhaltig machen. Das schaffen wir mit nicht-fossilen Kraftstoffen, zum Beispiel E-Fuels, Biokraftstoffe und Wasserstoff. Nur wenn wir alle Hebel nutzen, werden wir CO2 hinreichend schnell reduzieren. Unser Ansatz ist deshalb technologieoffen.
Welche Bedeutung wird der elektrische Antrieb in Zukunft im Mobilitätssystem haben?
Der elektrische Antrieb wird in vielen Märkten die dominante Technologie für den Pkw-Verkehr und auch für weite Teile des Verteilerverkehrs sein. MAHLE verkauft heute bereits über 8 Mio. E-Antriebe und elektrische Nebenaggregate pro Jahr für Anwendungen im Bereich Automotive, Urban Mobility und Industrie. Wir elektrifizieren alle Fahrzeugklassen – vom Zweirad über Pkw bis hin zum Nutzfahrzeug.
Wie bewerten Sie das Potenzial von Wasserstoff?
Wasserstoff ist ein wichtiger Hebel zur Dekarbonisierung. Er hat das Potential, gerade Nutzfahrzeuge besonders schnell klimaneutral zu machen. MAHLE hat dafür die nötige Expertise. In unserem Wasserstoff-Prüfzentrum in Stuttgart entwickeln und testen wir Technologien für Wasserstoffmotoren und Brennstoffzellenantriebe. Der Schritt in Richtung Serie ist bereits gemacht: Für Wasserstoffmotoren beliefert MAHLE zukünftig den Motorenhersteller DEUTZ mit Komponenten.
Der elektrische Antrieb wird in vielen Märkten die dominante Technologie für den Pkw-Verkehr und auch für weite Teile des Verteilerverkehrs sein.
Arnd Franz
Glauben Sie, dass es in naher Zukunft einen dominierenden Lösungsweg geben wird?
Für MAHLE ist die E-Mobilität weltweit gesetzt. Hier haben wir innovative Produkte für intelligentes Laden und hocheffiziente Antriebsmotoren, dazu kommen Technologien im Thermomanagement, welche die Lebensdauer der Batterie verlängern und die Reichweite steigern. Das Tempo der Transformation wird in den verschiedenen Regionen der Welt jedoch unterschiedlich schnell voranschreiten. Und was für den Individualverkehr passt, muss nicht unbedingt auch im Transportwesen funktionieren. Daher halten wir eine Multipfadstrategie für am sinnvollsten, wie sie in Japan, China oder auch Nordamerika verfolgt wird. Sie ermöglicht sowohl elektrische Fahrzeuge als auch hybridisierte Fahrzeuge mit nachhaltigen Kraftstoffen oder wasserstoffbetriebene Fahrzeuge. Diese Strategie verspricht schnell wirksamen Klimaschutz.
Wie gestaltet sich der Wettbewerb zwischen diesen verschiedenen Lösungen?
Das ist zum einen die Frage der politischen Rahmenbedingungen und Vorgaben. Zum anderen wird es davon abhängen, wie gut die einzelnen Lösungen für die unterschiedlichsten Anwendungsbereiche funktionieren. Im städtischen Nahverkehr mit eher kurzen Distanzen und viel Stop-and-Go sind batterieelektrische Antriebe die erste Wahl. Für längere Distanzen machen Hybridlösungen und effiziente Verbrenner, die mit nachhaltigen Kraftstoffen betrieben werden, mehr Sinn. Besonders im Nutzfahrzeugsektor und Offroad-Bereich ist das Potenzial für Wasserstoffmotoren oder Brennstoffzellen hoch.
Welche Herausforderungen müssen überwunden werden, um nachhaltige Kraftstoffe erfolgreich zu etablieren?
Nehmen wir das Beispiel E-Fuels. Wir sehen da kein Akzeptanzproblem im Markt, weil bestehende Technologien weiter genutzt werden könnten. Auch die Infrastruktur, wie Pipelines, Speicher, Tankstellen usw., ist vorhanden. Entscheidend ist hier die Frage, welche Mengen lassen sich wie schnell und zu welchem Preis umweltfreundlich produzieren? Und da stehen wir heute ehrlicherweise noch am Anfang. Wenn wir E-Fuels aus erneuerbaren Energien produzieren wollen, haben wir in den kommenden Jahren noch viel zu tun, etwa beim Aufbau von Elektrolyseur-Kapazitäten für die Herstellung und auch bei den anschließenden Prozessen der Weiterverarbeitung des Wasserstoffs. Ich denke, wir werden auch künftig Energie bzw. Kraftstoffe importieren müssen, um unseren Bedarf zu decken. Gerade in dieser Anlaufphase würden attraktive politische Rahmenbedingungen, wie Steuervergünstigungen oder CO2-Bepreisung den neuen Kraftstoffen zum Durchbruch verhelfen. Mit fortschreitendem Einsatz werden sich auch die Kosten Schritt für Schritt reduzieren.
Wie können wir sicherstellen, dass nachhaltige Kraftstoffe auch sozialverträglich und klimagerecht produziert werden?
Durch strenge Nachhaltigkeitsstandards und Zertifizierungen. Bei Biokraftstoffen geht der Weg in Richtung fortschrittlicher Kraftstoffe, die auch Abfälle aus der Landwirtschaft verwenden. Und bei E-Fuels müsste ein Hersteller dann nicht nur nachweisen, woher der Strom zur Produktion des Wasserstoffs kommt – idealerweise aus Erneuerbaren –, sondern auch, woher der Kohlenstoff kommt, der zur Weiterverarbeitung gebraucht wird – idealerweise CO2 aus der Luft.
Inwiefern sind die Unternehmen bereit, für die CO₂-Reduktion Geld in die Hand zu nehmen?
Als Stiftungsunternehmen nimmt MAHLE die Verpflichtung für Umwelt und Menschen besonders ernst. Wir stehen uneingeschränkt zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens. Bis zum Jahr 2040 werden wir als Konzern in unserer Produktion CO2-neutral sein. Hier kommen wir sehr gut voran. Das schaffen wir, indem wir unter anderem Strom aus eigenen Photovoltaik-Anlagen oder aus Wasserkraft gewinnen. Seit 2021 sind alle deutschen Standorte bezüglich Scope 1 und 2 Emissionen CO2-neutral. Im vergangenen Jahr haben wir unsere Zielsetzung für den CO2-Ausstoß um Scope 3 und hier die großen Bereiche Lieferkette und Produktnutzung erweitert. Bis 2030 wollen wir die Emissionen in diesen beiden Bereichen um 28% senken. Nachhaltigkeit wird immer mehr zum Wettbewerbsfaktor und zu einem wichtigen Element der verschiedensten Geschäftsprozesse eines Unternehmens. Mit unserer Beteiligung an Sunmaxx PVT ermöglichen wir neue Rekorde bei der Effizienz von Photovoltaikanlagen.
Wie kann die Industrie sicherstellen, dass Innovationen nicht durch zu starre Vorgaben behindert werden?
Im Dialog mit der Politik machen wir klar, dass die Wirtschaft realtaugliche Rahmenbedingungen braucht, um dauerhaft wettbewerbsfähig zu sein und Investitionen in Forschung und Entwicklung besser planen zu können. Wir müssen auf Innovationen setzen. Dafür brauchen wir schnelle Genehmigungsverfahren, eine enge Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, zielführende Förderprogramme und eine funktionierende öffentliche Verwaltung. Vor allem bei Energiekostem brauchen wir internationale Wettbewerbsfähigkeit. Auf Innovationen setzen bedeutet auch, den Unternehmen Innovationsfreiheit zu gewähren und Technologievielfalt zu ermöglichen, damit sich die besten Lösungen am Markt durchsetzen können.