Während Elektrofahrzeuge die Schlagzeilen dominieren, warnen Experten davor, dass technische Einzellösungen nicht ausreichen werden, um bis 2050 die Treibhausgas-Emissionen in Richtung Null zu bringen. Um die ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen, bedarf es einer umfassenden Energiewende, die weit über die Elektrifizierung des Straßenverkehrs hinausgeht. Bei der Eröffnung des Internationalen Wiener Motorensymposiums sprachen Vertreter aus Industrie und Wissenschaft über Strategien zur Erreichung von Netto-Null-Emissionen, neue Antriebsmodelle mit Wasserstoff und einen sinnvollen Mix aus neuen nachhaltigen Versorgungsquellen.
Die Antriebs- und Fahrzeugindustrie hat bereits wichtige Schritte in Richtung Nachhaltigkeit unternommen, indem Alternativen zu fossilen Brennstoffen entwickelt und genutzt werden. Professor Bernhard Geringer, Vorsitzender des ÖVK und Organisator des Internationalen Wiener Motorensymposiums, betonte aber, dass bei all den Innovationen immer die Energiefrage (“Energy first”) im Vordergrund stehen müsse, denn: „Wer die Energie hat, wird das Rennen gewinnen. Die größte Herausforderung wird sein, den steigenden nachhaltigen Energiebedarf, sei es für den Betrieb von Elektrofahrzeugen oder die Herstellung synthetischer Kraftstoffe, zu decken und gleichzeitig die negativen Folgen für die Umwelt zu minimieren. Die Verfügbarkeit von grünem Strom sollte über der gesamten Antriebsdiskussion und der Förderung von Einzellösungen stehen.“
„Die Energiewende bietet sowohl Chancen als auch Herausforderungen für die Zukunft der Mobilitäts- und Kraftstoffsysteme“, sagte Karl Rose, ehemaliger Chefstratege des Ölkonzerns ADNOC (Abu Dhabi National Oil Company) in den Vereinten Arabischen Emiraten. „Einerseits ist die Welt zum ersten Mal auf dem besten Weg, den Höchststand aller fossilen Brennstoffe noch vor Ende des Jahrzehnts zu erreichen. Andererseits glaube ich, dass sich nach 2030 einige der Regulierungsvorgaben für nachhaltige Flugkraftstoffe als zu ehrgeizig erweisen und daher an realisierbare Potentiale angepasst werden müssen. Angesichts der steigenden Menge an benötigten Biokraftstoffen wird es erneut ernsthafte gesellschaftliche Debatten über die Themen ‚Nahrung versus Treibstoff‘ sowie ‚Industrieländer versus Schwellenländer‘ geben. Unabhängig von unseren Bemühungen werden uns eher früher als später in einigen Bereichen die Rohstoffe ausgehen.“
Laut Rose erfordert der Übergang zu elektrifizierter Mobilität große Investitionen in die Infrastruktur, die Netzkapazität und die Batterieherstellung, was Fragen nach den Lieferketten und der Skalierbarkeit zur Deckung der steigenden Nachfrage aufwirft: „Es braucht schnelle Reaktionen auf die sich entwickelnde Situation und flexible Entwicklungspfade um das langfristige Ziel der Netto-Null-Emissionen erreichen zu können.“
„bp entwickelt eine Reihe von Produkten und Lösungen, um dem rasant steigenden Energiebedarf im Zuge der Dekarbonisierung des Verkehrs gerecht zu werden”, sagte Rebecca Yates, Vice President Advanced Lubricants Products beim weltweit agierenden Mineralöl- und Energie-Unternehmen bp. “Wir werden diese weiterentwickeln und skalieren, um den Energiebedarf der zukünftigen kohlenstoffarmen Mobilität zu decken. Schmierstoffe spielen auch eine wichtige Rolle bei der Gewährleistung einer optimalen Leistung über alle Antriebsstränge hinweg und spiegeln auch unser Engagement für einen zirkulären Ansatz wider. Während wir weiter skalieren und uns anpassen, lassen wir nichts unversucht, um die Nachfrage nach kohlenstoffarmen Lösungen in der sich ständig verändernden Transportlandschaft zu erfüllen.”
“Globale Zusammenarbeit ist unerlässlich”
Einen globalen Ansatz zur Dekarbonisierung des Transportsektors forderte auch Michael Fleiss, CEO von Aurobay Europe, einem Joint Venture von Volvo und Geely mit Fokus auf die Produktion von kompletten Antriebssträngen: „Globale Zusammenarbeit ist unerlässlich, um Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Die Elektrifizierung ist zwar nach wie vor eine praktikable Option, aber viele Hersteller sowie Expertinnen und Experten haben erkannt, dass keine Einzellösung ausreichen kann, wenn wir die Emissionen bis 2040 so drastisch verringern wollen und müssen. Unsere globalen Antriebsaktivitäten werden die Lücke zwischen historisch gewachsenen Altsystemen und Spitzentechnologien schließen. Es gilt, gemeinsam sicherzustellen, dass die Mobilität von morgen für alle zugänglich ist, unabhängig von geografischem Standort, Infrastruktur oder Ressourcenverfügbarkeit.“ Fleiss hebt hervor, dass es im Großteil der Welt aus Umweltgründen derzeit sinnvoller sei, ein Hybridfahrzeug anstelle eines BEVs zu fahren. Er geht davon aus, dass auch 2040 der Markt noch von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren dominiert wird. Die Förderung von Alternativkraftstoffen sind daher für die Zukunft relevant, Aurobay forscht daher sowohl an Methanol, Biokraftstoff und Wasserstoff.
Arnd Franz, Vorsitzender der Geschäftsführung und CEO des global tätigen Zulieferkonzerns MAHLE, sieht in der Notwendigkeit einer Mehrwege-Antriebsstrategie den effizientesten Ansatz für eine schnelle Dekarbonisierung des Mobilitäts- und Verkehrssektors: „Batterieelektrische Fahrzeuge allein werden nicht ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen. Wir brauchen auch nachhaltige Verbrennungs-motoren, die mit erneuerbaren Kraftstoffen betrieben werden können. Vor allem – aber nicht nur – in dünn besiedelten Volkswirtschaften und für viele Anwendungen im Nutzfahrzeugbereich werden Verbrennungsmotoren auf absehbare Zeit die Technologie der Wahl bleiben. Neben batterie-betriebenen Elektrofahrzeugen werden hocheffiziente Motoren, die mit E-Fuels, Wasserstoff oder anderen nicht-fossilen Kraftstoffen betrieben werden können, dazu beitragen, den CO2-Fußabdruck der Mobilität schneller zu reduzieren.”
Das 45. Internationale Wiener Motorensymposium findet vom 24. bis 26. April in der Wiener Hofburg statt. Rund 1.000 Teilnehmer fanden sich in der Wiener Hofburg ein, um über aktuelle Themen der Mobilität zu diskutieren. Rund 80 Referentinnen und Referenten diskutierten Themen wie die Co-Existenz verschiedener Antriebssysteme (also Elektromotoren, Brennstoffzellen und Verbrennungsmotoren) sowie Energieträger wie E-Fuels, Wasserstoff oder Strom.