Der Journalismus insgesamt verändert sich. Dies gilt natürlich auch für die Sparten Wirtschafts- und Finanzjournalismus. Immer noch haben diese Ressorts aber eine gewisse Macht. Jedoch befindet sich auch deren Selbstverständnis im Wandel. Eine Stärkung wäre wohltuend, mangelt es doch in Österreich stark an Finanzbildung.
Dass die Wirtschaftsjournalisten in Deutschland, Österreich und der Schweiz immer älter werden und immer noch überwiegend männlich sind, ist eines der Ergebnisse der Auswertung der „Worlds of Journalism”-Studie für den DACH-Raum. Präsentiert wurde die Studie im Rahmen der Diskussionsveranstaltung des IFWK (Internationalen Forum für Wirtschaftskommunikation) mit dem Titel „Wie mächtig ist der Finanzjournalismus?“ am 9. September 2024. „Das Durchschnittsalter ist 49 Jahre. Und die Stellen sind zu rund 60 Prozent von Männern besetzt“, so Prof. Josef Seethaler, Abteilungsleiter des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).
Viel interessanter sind jedoch folgende Aspekte und Zusammenhänge: Im Arbeitsalltag lasten interne Einflüsse wie Zeitdruck, Ressourcen und redaktionelle Linie stärker auf die Redaktionen, als externe, wie sie etwa von Interessenverbänden, der Politik oder Personen aus der Wirtschaft ausgeübt werden.
Rollenbilder: Von Deutenden und Faktencheckern
Die Rollen, die sich die befragten Wirtschaftsjournalistinnen und Wirtschaftsjournalisten am stärksten auf den eigenen Leib zuschreiben, sind – in absteigender Wertigkeit – die klassische Funktion des objektiven Journalismus, unmittelbar gefolgt von: Interpretativem Journalismus. Bei diesem wolle man „zukünftige Auswirkungen aktueller Ereignisse aufzeigen und aktuelles Geschehen einordnen und analysieren“, so Seethaler.
Demnach sei Interpretation nötig, um Fakten zu verstehen – wobei der eigene Standpunkt immer transparent gemacht werden müsse, so die selbst aufoktroyierte Verhaltensmaßregel. Die beiden Berufsbilder – Objektivität versus Deutung – korrelierten laut Seethaler nicht. Dicht auf den Fersen, auf Rang 3, liegt die Rolle des „Faktencheckers“; man will Desinformation entgegenwirken.
Wie steht es um die „Vierte Gewalt“?
Dies ist insofern bemerkenswert, als dies an der klassischen Definition der „vierten Gewalt“, als die Medien gern tituliert werden, ein wenig vorbei schrammt. Diese lautet nämlich, dass Leitmedien wie Zeitungen, Magazine, TV und Radio plus Internet einerseits über das Handeln des Staates und seiner Institutionen informieren sollen. Aber andererseits durch ihre Berichterstattung das staatliche Handeln auch kontrollieren. Mehr noch: Die Kontrolle der Regierenden durch freie Medien erachte(te)n viele Menschen als wesentlichen Grundzug von demokratischen Gesellschaften.
Vielleicht haben der deutsche Philosoph Richard David Precht und der deutsche Soziologe Harald Welzer doch nicht unrecht, wenn sie diesen Spagat in ihrem Buch aufgreifen, das notabene den Titel trägt: „Die vierte Gewalt: Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird – auch wenn sie keine ist“. Im Werbetext des Verlags S. Fischer zum 2022 erschienenen Druckwerk ist von „Selbstangleichung der Medien“ zu lesen. Zwar seien die deutschen Massenmedien keine Vollzugsorgane staatlicher Meinungsmache. Allerdings zeigten sie einen immer stärkeren Hang zum Einseitigen, Simplifizierenden, Moralisierenden, gar Empörenden und Diffamierenden. Sie bildeten ihre eigenen „Echokammern“.
Die Grenzen des Wirtschaftsjournalismus
Seethaler sieht darin jedenfalls eine „Entwicklung, die von einem sich verändernden – und sehr zukunftsfähigen – Verständnis des Publikums geprägt ist.“ Und fügt wertfrei an: „Das Publikum bewegt sich hin zu einem Interpretations-Angebot – sofern es transparent gemacht wird“.
Dass Wirtschaftsredaktionen und insbesondere die Finanzressorts sehr wohl Macht haben, darauf wies Hans-Peter Siebenhaar hin: „Je börsennotierter ein Unternehmen ist, desto größer ist sie. Je kleiner ein börsennotiertes Unternehmen von seiner Marktkapitalisierung her ist, umso anfälliger ist es gegenüber der Berichterstattung“, meint Siebenhaar, der Mitglied der Chefredaktion von Focus Money ist.
Allerdings befinden sich klassische Medien in einer ökonomisch dramatischen Situation, die alten Geschäftsmodelle funktionierten nicht mehr. „In den Abteilungen für Unternehmenskommunikation der großen Unternehmen sitzen oft mehr Angestellte, als in den Redaktionen. Das Ungleichgewicht verstärkt sich“, so Siebenhaars Anmerkung. Er bedauert insbesondere die Einstellung der Tageszeitung „WirtschaftsBlatt“ im Jahr 2016 sowie dass der ORF keine Börsenberichterstattung ausstrahlt.
„Eine Volkswirtschaft im Herzen von Europa verdient eine eigene Wirtschaftszeitung liberaler Art. Kritischer, unabhängiger, ökonomisch-autarker Journalismus ist gut für die Öffentlichkeit und dient der Wirtschaft, den Unternehmen, das dient auch zur Ökonomisierung von Denken und Handeln.“
Vom Aussterben bedroht
Als eine der wenigen weiblichen Vertreter der Branche schreibt sie in Österreich über Banken und klopft vielen auf die Finger (Strabag/Deripaska, Wirecard, Signa, …): Madlen Stottmeyer aus der Wirtschaftsredaktion der „Presse“. Dies kann theoretisch rasch prekär werden, weist Stottmeyer darauf hin, dass sie dafür mitunter mit juristischen Drohungen und Klagen bedacht wird, nicht das Medium, das aber Gottseidank hinter ihr steht. „Wir kritischen Finanz- und Wirtschaftsjournalisten gehören einer aussterbenden Berufsgruppe an“, zieht sie allerdings eine ernüchternde Bilanz.
Dies hat zweifellos mit dem Siegeszug der Social Media zu tun, „ein unregulierter Raum, in dem jeder Kommunikator sein kann“, umreißt es Waltraud Kaserer. Sie kann auf Erfahrung im Bankenbereich, als Journalistin, Kommunikationschefin in der Politik sowie bei börsennotierten Unternehmen zurückgreifen und ist jetzt Bereichsleiterin Corporate and Marketing der Communications Heubach Group (Deutschland). Die klassischen Medien haben zu vielen Zielgruppen ihren Zugang und ihre Deutungshoheit verloren.
Ihre Erfahrungen als Vis-à-vis von Wirtschaftsjournalistinnen und Wirtschaftsjournalisten, legte Silvia Kaupa-Götzl, langjährige Vorständin der Österreichischen Postbus AG, davor Prokuristin bei den ÖBB, dar. Sie habe dabei durchaus die „Macht der Medien“ zu spüren bekommen, als Geheiminformationen aus Sitzungen an die Medien gedrungen sind oder Verhandlungspartner wie der Betriebsrat mit dem Gang zu den Medien gedroht hätten. Gleichzeitig habe Kaupa-Götzl die Zusammenarbeit mit der Kommunikations- und PR-Abteilung schätzen gelernt und „dass wichtige Entscheidungen gemeinsam transparent und nachvollziehbar aufbereitet werden müssen“. Prompt konterte Hedi Schneid, die Doyenne des österreichischen Wirtschaftsjournalismus, dass ihre Aufgabe genau „darin besteht, hinter die Kulissen zu schauen und Dinge rauszukriegen“.
Finanzwissen: „Wir müssen mehr Druck machen“
Große Einigkeit herrscht darüber, dass Finanzbildung schon an den Volksschulen beginnen sollte. Trotz Nationaler Finanzbildungsstrategie mangelt es häufig an ganz pragmatischem Wissen. Beispielsweise wissen so manche Lehrlinge nicht, wie sich die auf ihrem Gehaltszettel ausgewiesenen Sozialversicherungsbeiträge zusammensetzen oder steigen bei Themen wie Zinsen einfach aus. Ganz anders ist die Lage in skandinavischen Ländern.
Fallweise sei das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge auch bei den politischen Akteuren Mangelware. Zudem „werden Politikerinnen und Politiker hauptsächlich von Innenpolitik-Redakteuren interviewt. Die ökonomischen Aspekte fallen daher häufig schlicht unter den Tisch“, erklärt Schneid. „Wir müssen mehr Druck machen.“
Ablesbar ist die Unkenntnis für wirtschaftliche Zusammenhänge in der breiten Bevölkerung unter anderem daran, dass die österreichischen Privathaushalte im Euroraum im Fünfjahresvergleich bei der Veranlagung mit schöner Regelmäßigkeit die niedrigsten Renditen erzielen – Stichwort „die Österreicher sparen sich arm“.
Die Conclusio ist, dass Wirtschafts- und Finanz-Redaktionen unbedingt auch Online-Strategien forcieren müssen, um die Medienkonsumenten auch auf diesen Schienen gut abzuholen – und dass guter Journalismus der Gesellschaft etwas wert sein muss.
(lb)