Die heimische Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen, die nur mit dem digitalen Wandel gemeistert werden können. Das haben die Krisen der letzten Jahre deutlich gemacht. SAP, weltweit führender Anbieter von Unternehmenssoftware, hat sich zum Ziel gesetzt, jedes Unternehmen in ein intelligentes nachhaltiges Unternehmen zu verwandeln. Wie SAP seine Kunden bei der Bewältigung der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen unterstützen kann, erläutert Christina Wilfinger, seit Februar 2021 Geschäftsführerin von SAP Österreich, im xBN-Executive-Interview.
Die aktuelle wirtschaftliche Lage ist durchaus eine bemerkenswerte. Wie spüren Sie das und welches Feedback bekommen Sie von Ihren Kunden?
Auf unser direktes Geschäft hat die Situation noch keine unmittelbaren Auswirkungen, weil viele große Projekte längerfristig geplant sind. Aber was wir schon sehen, sind Verschiebungen von bereits geplanten Projekten. Speziell bei Unternehmern, die sehr stark von Zulieferern abhängig sind, können wir dies beobachten.
Man sieht es aber auch aufgrund der Personalsituation. Auf der einen Seite gibt es in manchen Bereichen Personalengpässe, auf der anderen Seite wird die Workforce verringert. Deshalb sehe ich schon mit Spannung auf das nächste Jahr. Trotz schwacher Konjunkturberichte sehe ich dem kommenden Jahr grundsätzlich positiv entgegen, aber wie wir an den multiplen geopolitischen Krisen gesehen haben, bin ich auch vorsichtiger mit den Prognosen geworden. Aus SAP-Sicht sehe ich aber auch klar und deutlich, dass es in Österreich im Bereich der Digitalisierung noch einiges zu tun gibt.
Gibt es eine Verschiebung der Prioritäten bei den Unternehmen?
Das sehe ich nicht, es werden eher Projekte zurückgeschraubt wie zum Beispiel im HR-Bereich der Aufbau eines Talente-Pools. Die Industrieunternehmen fokussieren sich verstärkt auf ihre Kernthemen und Zukunftsthemen werden etwas langsamer angegangen. Im Moment beobachten wir, dass Investitionsentscheidungen eher verhaltener getroffen werden. Wir haben viele Gespräche mit Kunden geführt, die gerade in der derzeitigen Situation eine transparente Supply-Chain-Planung benötigen würden, die wir auch mit unseren KI-Lösungen unterstützen können, um sich besser und resilienter aufzustellen. Aber derzeit werden alle neuen Investitionen sehr akribisch beurteilt und eher verschoben oder in manchen Fällen sogar gestoppt.
Welche Rolle kann die digitale Transformation dabei spielen, um die Wirtschaft wieder sicherer zu machen oder wieder anzukurbeln?
Darauf gibt es keine generelle Antwort, weil die Branchen, in denen wir tätig sind, sehr unterschiedlich sind. Aber es ist deutlich zu sehen, dass digitale Lösungen die jetzigen Geschäftsmodelle verändern werden. Ich sage aber bewusst nicht, dass die Modelle abgelöst werden.
Wir stehen vor großen Herausforderungen wie die Einhaltung von Nachhaltigkeits- und Klimazielen. In den letzten 150 Jahren wurde so gearbeitet, dass Materialien zu einem Produkt weiterverarbeitet wurden, und dieses Produkt branchenspezifisch eingesetzt oder eingebaut wurde. Dabei gab es viele Abfallprodukte, die einfach entsorgt wurden. So kann es nicht weitergehen. Da spreche ich noch nicht mal von den Klimazielen, die wir wahrscheinlich nicht erreichen werden, sondern nur von den vorhandenen Ressourcen. Wir müssen uns überlegen, was wir während der Produktionsschritte tun können. Haben wir die richtigen Rohmaterialien, können wir sie wiederverwenden, können wir über den gesamten Produktionsprozess inklusive der Lieferkette die Kreislaufwirtschaft sicherstellen? Und das geht nur, wenn wir Datenmodelle, eine Data Governance und Transparenz haben – und das nicht nur im eigenen Unternehmen, sondern quer über alle am Prozess beteiligten Unternehmen.
Das ist jetzt die Produktionsseite. Aber dieses Beispiel gilt auch für andere Bereiche, zum Beispiel was Bürgerservices betrifft oder die Energieversorgung. Die Modelle müssen so adaptiert werden, dass sie viel automatisierter, standardisierter und dadurch auch viel nachhaltiger ablaufen können. Dazu braucht es wiederum eine Transformation der analogen Prozesse. SAP ist mit Lösungen in sehr vielen Branchen vertreten, wir zählen weltweit über 440.000 Unternehmen zu unseren Kunden. SAP-Kunden erwirtschaften 87 % des weltweiten Handelsvolumens (46 Billionen Dollar) – 75 bis 80 Prozent der global getätigten Transaktionen laufen in irgendeiner Form über SAP-Systeme. Wir haben also auch eine globale Verantwortung, diese Modelle mitzuentwickeln und zukunftsfit zu gestalten.
Wie weit sind wir hier?
In Österreich sind wir mitten in der digitalen Transformation, aber es könnte sicher nicht schaden, etwas mehr Geschwindigkeit zuzulegen. Es gibt natürlich Unternehmen, die eine Vorreiterrolle übernehmen, aber ich denke, dass viele dieser Projekte mit verhaltener Geschwindigkeit starten, weil sich viele Entscheider noch unsicher sind. Hier muss man kommunizieren, welche Vorteile eine Transformation bringen kann. Es ist außerdem wichtig, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diese digitale Reise einzuschwören und für alle die Vorteile und Chancen hervorzustreichen, sonst wird das beste Digitalisierungsprojekt nicht viel bringen.
In Österreich sind wir mitten in der digitalen Transformation, aber es könnte sicher nicht schaden, etwas mehr Geschwindigkeit zuzulegen.
Christina Wilfinger
Das Silodenken in den Unternehmen muss aufgebrochen und die Angst genommen werden. Ich bin davon überzeugt, dass die digitale Transformation die Menschen in Zukunft noch viel wichtiger macht und lediglich repetitive Aufgaben ersetzt. Wir müssen intensiv daran arbeiten, wieder eine Innovationskultur zu schaffen. Und hier müssen alle inklusive der Politik an einem Strang ziehen. Aber ich beobachte auch, dass das Bewusstsein dafür wäschst.
Wo müsste man zuallererst ansetzen?
Der Bildungsmarkt ist sicher einer, der innovative Ideen brauchen kann – denn hier werden die nächsten Generationen ausgebildet und Fachkräfte der Zukunft unterrichtet. Es wird in diesem Bereich zwar immer wieder einmal daran geschraubt, aber es braucht umfassendere und tiefgreifende Veränderungen. Allein der IT-Fachkräftemangel beträgt derzeit zwischen 25.000 und 30.000 Personen und da sprechen wir nicht von einer digitalen Grundbildung, die fehlt – denn digitale Skills werden mittlerweile in jedem Aufgabenbereich benötigt. SAP hat in diesem Bereich diverse Kooperationen wie etwa das SAP University Alliances Programme. In Oberösterreich gibt es mit der Coders.Bay eine eigene Initiative, wo wir Ausbildungen ermöglichen und neben standardisierten Lehrgängen auch gänzlich individuelle betriebliche Weiterbildungen anbieten.
Betrifft der Fachkräftemangel auch SAP?
Ja, natürlich suchen wir laufend Leute und der Markt ist leergefegt. Ich würde aber sagen, dass wir es eine Spur einfacher haben, weil wir als international aufgestellter Technologiehersteller für Jobsuchende attraktiv sind. Aber wir brauchen die Fachkräfte auch im SAP Partner-Ecosystem, sonst können die Projekte nicht umgesetzt werden. Und ich brauche sie vor allem auch auf der Kundenseite.
Sie haben vorhin das Thema Nachhaltigkeit bei Lieferketten angesprochen. Können Sie einen Einblick geben, welche Vorteile Digitalisierung hier bringen kann?
Es ist wichtig hier in Netzwerken zu denken. Man braucht Transparenz, man braucht Daten, um Analysen fahren zu können. Je mehr Daten man hat, desto mehr Vorteile kann hier speziell generative KI bringen. Erinnern wir uns an das Beispiel, wo ein kaputtes Containerschiff den Suez-Kanal blockierte und plötzlich stand die Welt still. Solche Szenarien muss man simulieren können, um Alternativen zu haben. Es gibt aber auch schon Beispiele, wo Lieferanten nicht mehr zu Ausschreibungen eingeladen werden sind, weil sie die ESG-Kriterien nicht erfüllt haben. Das ist geschäftskritisch. Dazu braucht man aber Daten. Und diese müssen aufbereitet und auf Knopfdruck abrufbar sein. Das heißt, man muss jeden einzelnen Schritt der Lieferkette dokumentieren, auch im Sinne des CO2-Footprints. Und das haben wir uns zur Aufgabe gemacht.
SAP ist als ERP-System in sehr vielen Unternehmen und Organisationen vorhanden. Also man hat die Materialdaten, die Finanzdaten, die Produktionsdaten, die Kundendaten. SAP vertritt hier zusätzlich den Standpunkt, dass die Bilanzierung von CO2-Emissionen genauso behandelt werden muss wie die Finanzberichterstattung. Deshalb gibt es die Initiative SAP Green Ledger. Dieser besteht aus einer aktualisierten Version von SAP Sustainability Footprint Management, mit der sich Emissionsdaten über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg berechnen und verwalten lassen, und dem neuen SAP Sustainability Data Exchange für den sicheren Austausch von Nachhaltigkeitsdaten mit Lieferanten und Partnern.
Wie sieht die Strategie von SAP für 2024 aus?
Wir werden uns natürlich weiter auf Themen wie KI und Cloud Computing konzentrieren. Technologisch sind die Themen ja schon länger da, sie sind aber viel transparenter und konkreter geworden. Jetzt geht es darum gemeinsam mit unseren Partnern Projekte umzusetzen.